Den Bericht vom zweiten Kongresstag möchte ich inhaltlich ins Zeichen eines Tools setzen, das die allermeisten Bibliothekar*innen seit Ende des letzten Jahres umtreiben dürfte: ChatGPT.
Dass die Auswirkungen von AI Tools und Möglichkeiten ein Punkt im Programm der IFLA WLIC 2023 sein würden, war zu erwarten. Die verschiedenen Perspektiven, aus denen das Thema beleuchtet wird, haben mich dann doch überrascht (und erfreut): rechtliche Aspekte, Möglichkeiten für die Katalogisierung, Nachhaltigkeitsaspekte, Copyright und einiges mehr. Bei einer kurzen Zählung der AI-Sessions im Pocket Programme kam ich auf 9 Sessions, die sich mit dem Thema der Künstlichen Intelligenz beschäftigen. Die Angaben sind wie immer ohne Gewähr: nicht immer geht aus dem abgedruckten Titel der genaue Inhalt der Session hervor. Es könnten also mitunter auch noch mehr gewesen sein.
Heute stand also ChatGPT im Fokus: ein System, das Ende letzten Jahres Technologieoptimist*innen verzückte und Kulturkritiker*innen entsetzte, da es auf Basis einer Fragestellung (sog. prompt) einen Text generiert, der sich trotz zweifelhafter Korrektheit des Informationsgehaltes verblüffend natürlich liest.
Die erste Session des Tages drehte sich um die Frage „Will AI change the mission of Academic ad Research Libraries?“ und bot den Teilnehmenden mit Beiträgen aus Nigeria, Indien und den USA Einblicke in die Wahrnehmung verschiedener Regionen dieser Welt. Dass das Thema eine unumstritten hohe Relevanz für Bibliotheken und Bibliothekar*innen hat, lies sich auch an der Teilnehmerzahl ablesen: der Raum war bis auf den letzten Platz und darüber hinaus gefüllt, um „one of the hottest topics this year“ (so Lorraine Haricombe, Chair dieser Session, zu Beginn). Die Beiträge griffen ChatGPT und Large Language Models (LLMs) als Teil einer andauernden Entwicklung auf, die nach Schrift, Papier und Druckerpresse das neueste text-basierte Medium in die Bibliotheken spült und trotz der unbedingten Notwendigkeit des Gegenchecken jedes einzelnen Outputs auch zahlreiche Möglichkeiten bietet. Die anschließende not-so-round table discussion (leider fehlten in diesem Raum die Tische) bot für mich spannende Einblicke in den Umgang mit ChatGPT in Bibliotheken in Rumänien, Kanada, Chile und den Niederlanden.
Direkt im Anschluss bot auch die Information Literacy Section eine Austauschmöglichkeit für den Umgang mit ChatGPT unter dem Titel „Let’s work together to develop critical thinkers in the ChatGPT era“ – für mich als Teaching Librarian, die von genau diesem Wunsch (kritisches Denken bei meinen Studierenden anregen) in ihrer täglichen Arbeit getrieben wird, quasi ein Pflichttermin. Und tatsächlich bot mir die Session einige wertvolle Denkanstöße. Besonders mitreißend war dabei der Ansatz aus Qatar, vorgestellt von Robert Laws von der Georgetown University Qatar, dass Bibliotheken eine führende Rolle in der Vermittlung des Umgangs mit AI-Tools einnehmen sollten – schließlich gliedert sich „AI literacy“ quasi nahtlos in die bereits von und durch Bibliotheken vermittelten anderen Kompetenzen ein.