Aktuelles

Opportunities, Challenges and Risks

Poster

Etwas erschlagen von der kurzen Nacht starte ich morgens in die erste Session, “National Libraries + AI: Opportunities, Challenges and Risks”. 

National Libraries + AI: Opportunities, Challenges and Risks

Organisiert von der IFLA National Libraries Section Information Technology Section und AI SIG werden verschiedene Vorträge, eine Table Discussion und eine Live Q&A Session präsentiert.

AI and creativity, culture and copyright

Shira Perlmutter vom US Copyright Office, United States, berät den US Kongress. Sie startet mit relevanten Fragen für Bibliotheken, z.B. sollen, dürfen oder müssen (etwa im Rahmen von legal deposits, d.h. Pflichtablieferungen) AI-generierte Werke künftig auch gesammelt werden?

Anschließend geht sie kurz auf die Aufgaben des Copyright Office ein (z.B. Prüfung des Anspruchs auf Copyright, Registrierung des Copyrights, Zusammenarbeit mit Bibliotheken beim Deposit). Im Rahmen dieser Aufgaben sieht das Office bereits jetzt viele praktische Beispiele von AI. Entsprechend läuft hier eine Art „live laboratory“ im Kontext AI und Copyright. 

Reine AI-Generierung ist dabei gemäß US-Recht nicht copyright-registrierungswürdig, da die menschliche Autorenschaft fehlt. Komplex wird es jedoch bei einer Mensch-Maschinen-Kooperation, z.B. wenn eigene Bilder mit anderen kombiniert werden (“created at least in part by AI”). Es hängt dabei primär davon ab, dass die “Eigenanteile”, darunter auch die Prompts komplex und detailliert genug sind, um als kreative Leistung gelten zu können. Siehe, sehr interessant als Leitfaden, Copyright Registration Guidance for Works Containing AI-Generated Material unter https://copyright.gov/ai/

Eine weitere Fragestellung ist das Training der AI mit Datensätzen. Etwa, ob dies die Einwilligung der Autor*innen benötigt und Entschädigungen beinhaltet. Oder unter “fair use”-Klauseln fällt, ähnlich wie Text and Data Mining (TDM). Falls tatsächlich Entschädigungen fällig werden würden, wie soll das realisiert werden? Über Lizenzierungen, ist ein opt-out/-in möglich, etc. Falls keine Kompensation fällig werden würde, was bedeutet das für Kreative, die durch AI bedroht werden?

Policymaker bzw. Gesetzgeber auf der ganzen Welt arbeiten gerade an diesen Fragen. 

Abschließend geht sie auf bibliotheksspezifischere Fragen ein: wie legt man bspw. fest, was “wertvoller” AI-Content zum Sammeln ist (etwa abhängig von den Prompt-Autor*innen)? Wie ist der Mechanismus, um die Werke konkret zu finden und zu sammeln? Nicht registrierungswürdige Werke würden z.B. in den US nicht an die Deposit-Bibliothek weitergegeben werden. 

AI with many perspectives

Nach einer kurzen Table Discussion starten Rosemarie van der Veen-Oei und Dorien Haagsma von der National Library of the Netherlands (KB) in einen Einblick in die lokale AI Tool-Entwicklung und -Nutzung, z.B. Krant en Foto´s, der Curator Bot und der Demosaurus (zum Vorschlagen von Schlagwörtern, Autor*innen, etc.).

Zusätzlich wird im AI reading club lokal Bewusstsein für das Thema geschaffen. Gleichermaßen gibt es die AI-Parade auf nationalem Level. 

Big Data and Data Mining for Analyzing Library Readers’ Reading Interest in Taiwan

Die National Central Library Taiwan hat eine Big-Data-Plattform für die Bibliotheken des Landes aufgebaut. Diese Plattform nutzt die anonymisierten Buchausleihungsdaten und zielt darauf ab, die Vielfalt der Leseinteressen der Leser zu verstehen und Hinweise für die Leseförderung in Bibliotheken zu liefern, u.a. über ein interaktives Dashboard, Vergleiche der “Leserate” und Literaturempfehlungen.

The Future of Cataloging at the Royal Library of Belgium (KBR): Balancing the Benefits and Risks of AI Technology

Hier wird Technologie genutzt, u.a., um aus Scans bzw. OCR von Büchern die bibliografischen Metadaten zu extrahieren und automatic subject-indexing zu ermöglichen. Im Umgang mit AI wird EPIC WISDOM empfohlen:

Screenshot

Den Abschluss bildet eine Live Q&A Session. Ich frage die Rechtsexpertin vom US Copyright Office, wie der positive Einsatz von AI bei Repositorien und Universitätsverlagen möglich sein könnte, z.B. für Übersetzungen oder Alternativtexte (im Kontext Barrierefreiheit). Und ob sie Tipps hat, was wir dazu in unseren Verträgen berücksichtigen müssen.

Da Übersetzungen ein Derivat darstellen, so ihre Auskunft, müsste das tatsächlich vertraglich geregelt werden, Es hängt aber natürlich vom konkreten Fall ab (z.B. ist es ein kommerzieller oder nicht kommerzieller Verlag, welche Rechte werden übertragen, ausschließliche oder einfache).

The Artificially Intelligent Librarian: threat or chance?

Nahtlos im Thema bleibend gehe ich zur heutigen Keynote Session, “The Artificially Intelligent Librarian: threat or chance?” von Eppo van Nispen tot Sevenaar sowie Erik Boekesteijn. Sie beginnt mit dem amüsanten Einstieg, dass die Keynote Session nicht im Werbevideo der Must-see-Sessions der IFLA auftaucht.

Die beiden hatten die Vision, die coolste Bibliothek der Welt zu erschaffen, was ihnen auch gelang (DOK library Concept Centre in Delft). Dadurch wurden sie auch in der Folge in diversen Bibliotheksprojekten hinzugezogen. Wie auch Gebäude bzw. Design ist AI schlicht ein Tool, das uns hilft, Menschen besser zu erreichen und zu supporten. Und AI kann dazu dienen, sich abzugrenzen und etwas different (in Sinne von cool, beeindruckend, bewegend, interessant) zu machen.

Das kann Speech-to-text oder umgekehrt AI-generierte Vorleserinnen (in Anlehnung an AI-generierte Nachrichtensprecherinnen) u.v.m. umfassen. AI unterstützt zudem die “natürliche Effizienz”, besser bekannt als Lazyness von Menschen. Und es kann dabei helfen, Leute zu erreichen, die wir vorher nicht erreicht haben, etwa über Buchempfehlungen oder über die Identifikation von Leuten, die selten bei uns auftauchen oder digital abgehängt sind. 

Dennoch bringt AI natürlich Risiken mit sich, v.a. im Bereich Ethik (Gesichtserkennung, Profiling, etc.). AI muss entsprechend diverse Prinzipien erfüllen, z.B. neutral, transparent, safe, accessible, inclusiveness, etc. Und für Bibliotheken ist natürlich trust wichtig.

Netzwerken und das sich-verbinden mit der Community ist ebenfalls essentiell, weshalb z.B. nationale AI Courses und AI Parades geschaffen wurden. Die schlicht Spaß machen. Man kann auch verschiedene community-driven Szenarios mit AI erschaffen und jeweils die aktive Rolle(n) von Bibliotheken definieren (etwa im Bereich Citizen Science), die von der Community dabei erwartet wird bzw. hilfreich wäre. 

Poster Session und **hört hört** – Hörensagen aus dem Governing Board

Da heute in der Poster Session etwas weniger los ist, bitte ich eine Kollegin, kurz bei mir die Stellung zu halten. Ich gehe eine Runde, bestaune die anderen Poster und unterhalte mich mit den Kolleginnen und Kollegen. Manche Poster sind wahre Kunstwerke, mit 3D-Effekten, Haltern für Broschüren und in einem Fall sogar ein integriertes Smartphone, das ein Erklärvideo abspielt. 

Auch mein eigenes Poster findet heute viele (Star Wars-)Freunde und bringt einige spannende neue Kontakte. 

Mein Poster
Fremdes Poster

Eine Kollegin erzählt mir dabei, dass sie eben aus der Session In conversation with the IFLA Governing Board kommt. Dort wurde scheinbar endlich angesprochen, worauf ich bislang vergeblich gewartet habe: eine Thematisierung der kontroversen Entscheidung zu Dubai. Ich kann nur Dritter Hand berichten, d.h. folgendes als Hörensagen ohne Gewähr.

Begründet wurde die Entscheidung scheinbar damit, dass Dubai sich als einziges beworben hat.

Kriterien, die bestimmte Bewerbungen vorab ausschließen oder Konditionen daran binden (z.B. keine Einflussnahme auf Themen und Sessions) gab es wohl nicht. Und mit Blick auf das Referendum rechtfertigte man sich, dass die Stimmen ins Verhältnis zu den Ländern gesetzt wurden (z.B. lehnten Stimmen aus Europa, USA und Kanada den Veranstaltungsort Dubai größtenteils ab, aus anderen Ländern gab es dagegen zustimmende Votes) – und man mit der Entscheidung auch diese nicht-westlichen Länder “hören” möchte. 

Sowie, natürlich, das klassische Fifa Argument: man trägt damit moderne Werte in Ländern, die diese (noch) nicht vertreten. Wie das geschehen soll, wenn – auch wieder ähnlich zur Fifa und z.B. dem dortigen Verbot der „One Love“-Binde – ein Mitspracherecht von Dubai besteht und entsprechende Werte-Sessions wohl eher nicht oder zumindest nicht unter diesem Namen im Programm auftauchen dürften, ist der Kollegin und gleichfalls mir rätselhaft. 

Ich ärgere mich ein wenig, dass ich gerade diese Session durch die Postersession-Anwesenheits-„Pflicht“ verpasst habe. 

E-Books

Nun wartet die E-Books Session auf mich. Mikkel Christofferson beginnt mit dem Geständnis, dass er gedacht hätte, es handele sich um ein Arbeitstreffen mit seinen Kollegen, weshalb seine Folien eher informell sind. Nichtsdestotrotz sind sie spannend, er geht auf die Naple E-Book Working Group und dortige Arbeitsaufträge wie Procurement issues ein (steigende Kosten von eBook Lizenzen, restriktive Lizenzen etc.), heterogene Nutzergruppen (z.B. solche, die nur physische Sammlungen nutzen;  demographisches Unwissen über die digitalen Nutzer, wodurch man nicht weiss, wem man eigentlich als Bibliothek von welchem Wert ist).

Stuart Hamilton konstatiert, dass man aktuell für ein eBook der großen Verlage das 3 ½-fache des Preises eines Printbuchs bezahlt, was nicht nachhaltig sein kann. In Irland gibt es entsprechend eine neue nationale Bibliotheksstrategie, die Entwicklungen hin zu einer library-owned library ebook platform anstrebt. Bis dahin erfolgen neue Angebotseinholungen in der Hoffnung, die Preise zu senken. 

Ben White von Knowledge Rights 21 greift kurz Rechtliches auf, v.a. im Kontext eLending. Hierzu soll ab September eine Studie erscheinen. Auch Wettbewerbsprobleme wie z.B. Bundling (anstatt Einzellizenzierung), die Verweigerung von Lizenzen oder die Entfernung von Titeln aus der Lizenzierung werden angesprochen. Die entsprechende Competition Study kommt ca. im Oktober. Siehe hierzu auch das KR Position Statement und https://www.knowledgerights21.org/news-story/ebooks-statement/

Öfter wird auch der Punkt angesprochen, dass sich Bibliotheken eine “Kopie” eines eBooks zur Bestandssicherung und Langzeitarchivierung machen dürfen sollten, äquivalent zur Papierversion. 

Ein Video von Paul Crosby stellt kurz “Untapped: The Australian Literary Heritage Project” vor. Es geht um Bücher, die vergriffen sind, jedoch immer noch urheberrechtlich geschützt sind und als eBook re-published werden. 

Anna Tuomikoski schließt die Session mit einem praktischen Ansatz zu einer zentralisierten, nationalen eLibrary Collection, die E-KIRJASTO. Der Ansatz war, den Bestand von der Technologie zu entkoppeln. Diese wurde Open Source entwickelt. Es gab diverse Herausforderungen, darunter auch, dass man Leute neu umerziehen muss, nicht mehr bei der lokalen Bibliothek nach eBooks zu suchen, sondern auf einer neuen Plattform.

IFLA General Assembly

Zum vorläufig abschließenden Programmpunkt des Tages (später besuche ich noch ein Empfang des Goethe Instituts) besuche ich die IFLA General Assembly.

Als nicht-votingfähiges Mitglied und neu auf der WLIC erschließen sich mir einige Punkte nicht vollständig. Ich vermute, ich sehe bestimmte Inhalte auch nicht (z.B. die Minutes). Es scheint jedoch ähnlich zu Vereins-Vollversammlungen abzulaufen. Mit verschiedenen Punkten, die formell „abgenommen“ werden.

Dann folgen Berichte. Die Präsidentin geht u.a. auf Nachhaltigkeit und die nachhaltige Zukunft des Verbands ein. Das Jahr 2022 war durch den Ukrainekrieg und auch interne Entscheidungen geprägt. Das Government Board hat viele Pläne für die Zukunft auf der letzten General Assembly vorgestellt und führt diese fort. Die Mission, das Bibliotheksfeld zu vereinen, wird gleichfalls fortgeführt. Zudem sollen Transparenz und Kommunikation verbessert werden. Das beinhaltet z.B. einen quarterly financial report, einen neuen, verbindlich zu unterzeichnenden Ethikkodex für das Government Board, A Plan for Securing IFLA’s Future und das IFLA Handbook.

Sharon Memis stellt die bereits gestern erwähnten vier Strategic Directives und auszugsweise Punkte dazu vor,

Die anschließenden Fragen gehen auf durchaus kritische Punkte ein, u.a., wie der Stand der Whistleblower Policy ist. Diese ist zwischendurch eingesetzt.

Und auch, wie man sich für Dubai entscheiden konnte, wenn dadurch LGBTQ-Gruppen und eigene SIGs ausgeschlossen werden. Hier erfahre ich noch einmal live, dass die Bewerbung von Dubai die einzige valide war. Die IFLA-Mitglieder haben scheinbar auch ein Paper von 14 Seiten erhalten, die das Thema näher ausführen.

Eine Nachfrage hierzu ist, wie das Referendum zur Entscheidung so ignoriert werden konnte. Hierzu wurde betont, dass es eine Advisory-Umfrage war. Eine weitere Meldung aus dem Publikum weist darauf hin, dass sich die Umfrage durchaus so angehört hat, als würde sie beachtet werden. Und dass es künftig dann auch bitte so kommuniziert werden soll, dass die Entscheidung ignoriert werden könnte.

Ein weiterer Wunsch ist, dass auch wenn in Dubai LGBTQ-Themen nicht offiziell im Programm aufgenommen werden können, diese dennoch vor Ort besprochen werden. Dies kann nicht versprochen werden, aufgrund örtlicher rechtlicher Gegebenheiten.

Ich nehme mir vor, mich im Anschluss zu informieren, ob die o.g. 14 Seiten auch nach außen hin, für Nicht-Mitglieder zugänglich sind [Nachtrag: ja, es scheint sich um diese hier unter https://www.ifla.org/de/news/advisory-referendum-wlic-2024/ verlinkte PDF zu handeln, mit 10 anstatt 14 Seiten, vielleicht habe ich mich verhört].

Denn da stets betont wurde, wie schwer man sich die Entscheidung gemacht hat, steht dort hoffentlich mehr drin als „Dubai hat sich als einziges beworben“. Bis jetzt kann ich die Entscheidung nicht nachvollziehen. Die Verbandsführung hat Vertrauen verspielt, damit engagierte Freiwillige verprellt, die selbst gesetzten Ideale und die Arbeit eigener SIGs verraten, verliert mutmaßlich auch Förderer dadurch und alles für mich ohne bisher nachvollziehbaren Grund.

Der nächste Punkte betrifft Finanzen und die IFLA Focus Points hierbei, konkret long-term financial sustainability, income diversification, fundraising und scenario planning with attention for risk management.

Es werden in dem Kontext auch kostenintensive Personal(-ausscheidungs-)entscheidungen angesprochen. Hier wird auf neue Konfliktlösungsmechanismen hingewiesen und es wird die Whistleblower Policy noch einmal erwähnt.

Eine Nachfrage möchte wissen, wie man konkret neue Finanzierungsquellen erschließen möchte. Man möchte hierzu, wie auch bereits zu den gestrigen Nachmittagssessions berichtet, neue Förderer finden, diesen den Impact der Bibliotheken näherbringen, dazu Metriken heranziehen, etc.; zudem wird der mid-term report referenziert.

Gerade als es noch einmal spannend wird, gibt mein Notebook-Akku den Geist auf. Der WLIC hat das gleiche Problem wie meine Zweigbibliothek: viel zu wenige Steckdosen. Und im Gegensatz zu meiner Zweigbibliothek werden hier leider keine Mehrfachsteckdosen und Verlängerungskabel verliehen.

Egal – was ich eigentlich schreiben möchte: mehrere Bibliotheken haben zu dem eigentlichen pro-forma Voting einer motion, also eines Programmpunktes mit Abstimmung eine counter motion eingelegt. Im Klartext, dass die ursprüngliche motion abgelehnt wird und stattdessen die eigene motion angenommen wird. Ich berichte gleich in einem gesonderten Blog-Posting darüber.

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