Aktuelles

Feierliches, Spannendes, Mitreißendes – und Hunger

Eindruck von der IFLA

Mein Tag beginnt leider etwas mit Verspätung. Verlockt durch die Zuganzeige von „Rotterdam Centraal“ ohne Umstieg springe ich in Amsterdam in einen sogenannten Sprinter. Leider hört sich das Wort Sprinter nur schnell an, ich erwische eine Art Regionalbahn bzw. S-Bahn, die gefühlt im 5-Minuten-Takt einen Stopp einlegt.

Entsprechend komme ich leider verspätet zur Opening Ceremony an. Ich höre noch Sharon Memis,  Secretary General of IFLA. Sie hält im Moment meiner Ankunft ein Plädoyer für Diversität als die große Stärke von Bibliotheken. Diversität sollte, so ihre Rede, auch auf einem organisatorischen Level verankert werden. Denn wie ansonsten nur Musik oder Kunst können Bibliotheken Menschen und Kulturen friedlich vereinen.

Bibliotheken sind zudem Schlüsselstellen für die Erzielung bestimmter Sustainable Development Goals, siehe hierzu auch später am Tage. Sie schließt mit den Worten, dass sie die Community, also uns, wirklich hören möchte. Und unsere Prioritären. 

Dem Vortrag folgt das Highlight der Eröffnungszeremonie, die Rede von Her Royal Highness Princess Laurentien of the Netherlands. Sie nimmt Bezug auf “The Opposite of Loneliness” von Marina Keegan und das dortige Zitat “it’s just this feeling that there are people, an abundance of people, who are in this together. Who are on your team” für die Bibliothekswelt. Und sie betont, dass Connectivity, auf Deutsch Verbundenheit oder Anschlussfähigkeit, von Wert ist:

In einer zunehmend seltsamer werdenden Welt sollen wir uns vernetzen, Multiplikatoren heranziehen, unsere Community wahrnehmen und auch attraktive Dritte Orte schaffen, in denen man sich treffen und austauschen möchte. “Together in a deeper sense”. 

Zum feierlichen Abschluss der Opening Ceremony wird ein großes Buch geöffnet. Ein neues Kapitel aufgeschlagen. Ich frage mich, ob das auch Bezug auf die Unstimmigkeiten der Vergangenheit nimmt und frage einen Kollegen, ob vor meinem Erscheinen Bezug auf kritische Stimmen und Probleme genommen wurde. Scheinbar war das nicht der Fall, es wurden nur indirekt Höhen und Tiefen erwähnt. Nichtsdestotrotz ein gutes Vorzeichen. Auf neue Bücher freut man sich immer.

Let’s library for responsible AI

Nach der feierlichen Eröffnung halt ich auf das Restaurant zu. Enttäuschte Kolleginnen und Kollegen kommen mir entgegen: alles dunkel, das Restaurant ist geschlossen. Die wenigen kleinen Brotzeitstationen mit Sandwiches generieren lange Schlangen. Ich entscheide mich stattdessen, gleich zur nächsten geplanten Session “Let’s library for responsible AI” zu gehen, um einen guten Platz zu bekommen. Denn es könnte spannend werden, Copyrightverletzungen und ethische Fragestellungen im Bereich AI. Und vielerlei weitere Punkte, von denen wir besser Notiz nehmen, um künftig als Bibliothekspersonal verlässlich beraten zu können.

Navigating the complexity of disruption: The ethics, opportunities and hype of generative AI

Peter Bryant, University of Sydney, beginnt die Session mit dem Vortrag “Navigating the complexity of disruption: The ethics, opportunities and hype of generative AI”. Er startet mit einer Definition von Generative AI, die Neues wie Text, Grafik, Spiele, etc. als Antwort auf menschliche Prompts, also Eingaben generiert. Die AI zieht dabei riesige Mengen an Daten hinzu, um wahrscheinliche (sinnvolle) Antworten auf Prompts wie z.B. “generiere mir ein Bild von einer Kuh” zu erschaffen. Die Daten können dabei vorgefärbt oder gar diskriminierend sein. So werden bei Bildern zu Führungseigenschaften oft Männer dargestellt. 

Viele ethische Fragen schwingen beim Thema AI mit. AI “halluziniert” etwa, generiert also falsche Antworten, falsche Referenzen oder interpretiert die Prompts schlicht fehlerhaft oder abweichend zu den Eingebenden. Oder die Frage, wer die ursprünglichen Daten besitzt, ob die Quellen seriös sind und wir als Bibliothekar*innen sie empfehlen können. Zudem kann AI genutzt werden, um bei Seminararbeiten etc. zu schummeln.

Umgekehrt lässt sich aber auch die Frage stellen, wie man mit AI die Hochschulausbildung besser machen könnte wenn bspw. alle ethischen Fragen geklärt sind? Dazu müssen ethische Aspekte von AI in die Hochschulausbildung eingebunden werden und auch praktische Fähigkeiten dazu ausgebildet werden. Plus wertgeschätzt werden, im Falle, man kann verantwortungsvoll damit umgehen. Und AI nicht nur, wie ein Taschenrechner, aus reiner Bequemlichkeit genutzt wird, ohne sich weiterführende Gedanken zu machen.

The Intersection of Copyright and Generative Artificial Intelligence

Jonathan Band, Policybandwidth, spricht anschließend in “The Intersection of Copyright and Generative Artificial Intelligence” über Urheberrecht und betont, dass Recht nicht zwingend etwas mit Ethik zu tun hat. Drei Punkte wären dabei wichtig, “Does ingestion for training AI constitute infringement?, “Does the output infringe?” und “Is the output copyrightable”? Je nach Land und dem dortigen Fortschritt in der Beschäftigung mit AI kann die Antwort unterschiedlich sein. 

Zur ersten Frage greift er noch einmal die Startvoraussetzung von AI auf, die Einspeisung von oft Millionen Daten. Die meisten Länder sind der Meinung, dass dies keine Urheberrechtsverletzung ist. Jedoch schwingen eine Vielzahl Fragen dabei mit, Zugriffsmöglichkeiten, Entschädigungen bzw. Entgelte zur Nutzung, Nachnutzung bzw. Harvesting auch illegaler Plattformen wie SciHub, etc.

In der EU ist die EU Copyright in the Digital Single Market Directive (Art. 3) maßgeblich; es behandelt AI wie Text and Data Mining, kurz TDM, wobei ebenfalls noch nicht geklärt ist, ob AI und TDM wirklich gleichzusetzen sind. Zudem sieht Art. 4 ein Opt-out der Urheber vor. In Arbeit ist derzeit dazu ein EU proposed AI Act geplant, der eine Offenlegung bzw. den Ausschluss von (Daten-)Kategorien vorsieht, was an Internet Robot Exclusion Protocols anknüpft.

Bei der zweiten und dritten Frage ist u.a. von Bedeutung, ob ein legaler Zugriff auf die Originalarbeit bestand, ob das Output-Ergebnis substanziell ähnlich zur geschützten Originalarbeit ist und ob die AI-Arbeit selbst wiederum geschützt werden kann. In den United States wurde etwa entschieden, dass nur menschliche kreative Leistung Urheberrechtsschutz erhalten kann; der AI-Output kann also nicht vom Prompter geschützt werden. Der Umfang des menschlichen Einflusses über die Prompts könnte dies jedoch perspektivisch verkomplizieren (was ist Einfluss der AI, was Einfluss des Menschen). 

Ein Prompt ist jedenfalls so oder so, gut und zielführend ausgeführt, eine komplexe sprachliche Aufgabe und bei der entsprechenden “Literacy” können auch Bibliothekarinnen und Bibliothekare unterstützen.

Panel discussion with members of FAIFE, CLM, AI SIG

Im Anschluss folgt eine “Panel discussion with members of FAIFE, CLM, AI SIG”. Der Nutzen von AI wird hier noch einmal hervorgehoben (z.B. Recommender Systeme mit AI, bessere Sichtbarkeit von Sammlungen, entstehende Open-Source-Tools im AI-Bereich), die nötige Praxis (z.B. AI & Copyright Literacy) und ethische Aspekte wie Vertrauenswürdigkeit, Transparenz sowie ein sehr weit gefasster “fair use”-Kodex: angefangen bei technisch möglichen Opt-outs von Datenanbietern, der sensiblen Behandlung historisch gefärbter Daten bis hin zu einer fairen Behandlung der Personen, die Daten einpflegen und bewerten.  Zudem sollte eine Konzentration auf wenige große Tech-Anbieter verhindert werden, sondern eine große Diversität an „Responsible AI” Anbietern das Ziel sein. Es empfiehlt sich zu all dem das „IFLA Statement on Libraries and Artificial Intelligence“ zu lesen. 

Nach der spannenden Session gehe ich hungergetrieben noch einmal auf Essensjagd. Wie kann alles so gut organisiert sein, nur nicht beim Catering? Nach langem Anstehen komme ich etwas verspätet zu meiner zweiten eingeplanten Session.

How to Get Published – IFLA Journal and the IFLA Publications Series

Die vermutlich eher aufgrund der ungünstigen Mittagssituation und nicht inhaltlich-bedingte schwach besuchte Veranstaltung stellt zunächst allgemein Punkte vor, wie man als Bibliothekarin bzw. Bibliothekar beim Publizieren das passende Journal auswählen kann, sein Manuskript vorbereitet und dabei ethische Aspekte beachtet (Plagiarismus, korrekte Zitationen, Verweis auf publicationethics.org / COPE), gefolgt davon, wie der Publikations- und Peer-Review-Prozess üblicherweise abläuft. Bei abgelehnten Artikeln sollten die Hinweise sehr sorgfältig gelesen werden: nach Umsetzung kann man unter Umständen bei einem anderen Journal einreichen. 

Dann wird das IFLA Journal als ein möglicher Publikationsort vorgestellt, mit einem sehr weit gefassten Fokus auf Bibliotheks- und Informationswissenschaften. Typische Artikel umfassen 3.000-8.000 Wörter. Es gibt auch Special Issues. Der Verlag Sage verlegt es: https://journals.sagepub.com/home/ifl. Eine Vertreterin von Sage spricht anschließend über den Author Support wie z.B. Webinare über How to get published, Resource Center für bestimmte Länder und Autor*innen (z.B. China) und wie die Arbeit danach promoted wird. Auch Preprints sind möglich, über Sage Advance. Das IFLA Journal ist ein hybrides Open-Access-Journal, jedoch wird es scheinbar über den grünen Weg von Open Access frei zugänglich über das IFLA Repositorium gemacht.  

Ich stelle die Frage, weshalb es dann nicht vom hybriden Weg in reines Open Access umgewandelt wird; aktuell muss man ausschließliche Nutzungsrechte an den Verlag übertragen und das Bibliothekswesen steht ja für Kooperation, Transparenz, Openness. Die Antwort ist eher zögerlich, dass das aktuell das Geschäftsmodell der Zeitschrift ist und andere Wege möglich wären, das jedoch mit IFLA besprochen werden müsste.

Als zweiter Publikationsort wird die IFLA/De Gruyter Publications Series vorgestellt und der Editorial Process der Buchreihe.

IFLA’s global role in Open Access – engaging networks and partnerships for sustainable progress

Die anschließende Session “IFLA’s global role in Open Access – engaging networks and partnerships for sustainable progress” leitet mit einem Rückblick u.a. auf das IFLA Statement on Open Access to Scholarly Literature and Research Documentation, das IFLA-UNESCO Public Library Manifesto (und dem dortigen Bestandteil “open access to scientific knowledge”) sowie die Sustainable Development Goals bzw. die UN 2030 Agenda for Sustainable Development ein. Der Fokus auf Open Access unterstützt die SDGs, z.B. “Ensure public access to information and protect fundamental freedoms” unter “Goal 16 – Peace, Justice and Strong Institutions”. Die Rednerin erinnert in dem Zusammenhang etwa auf die bibliotheksseitig aufgebauten Open-Access- und Open-Data-Repositorien während der Covid-19-Pandemie. 

Vor dem Start der anschließenden Paneldiskussion folgt eine Videoeinblendung vom International Science Council (ISC), unter anderem mit acht essentiellen Prinzipien zum Publizieren und dem Hinweis auf die San Francisco Declaration on Research Assessment (DORA).

8 Prinzipien

Für die Paneldiskussion bleiben dann leider nur noch knappe 20 Minuten. Karin Grönvall, National Librarian Sweden, startet mit einem Redesprint über Ländersituationen, Konsortien wie das schwedische Bibsam Konsortium, (z.B. Green Open Access / Zweitveröffentlichungs-)Rechte, Kosten, Transformationsverträge, Policies, nationale Richtlinien, Monitoring u.v.m.

Ellen Tise, Library and Information Services Stellenbosch University, schließt mit einer globaleren Sicht an, v.a. auf den globalen Süden und die SDGs. Sie prophezeit, dass die Entwicklungen im Bereich Open Access und Open Science die größten und positivsten Veränderungen im Bibliothekswesen überhaupt sein werden, da sie zugleich auch Voraussetzungen z.B. für AI und die SDGs sind.

Open Access muss dabei inklusiv sein, was verschiedene (z.B. Geschäfts-)Modelle umfasst: “Inclusiveness through Openness” ist dabei das Ziel. Vor allem Dysfunktionalitäten früherer Systeme dürfen nicht fortgeführt werden und Openness muss weiter gefasst werden, als Empowerment und zugunsten Demokratie, Inklusion, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.

Zugleich sieht sie, im Kontext Dysfunktionalitäten, steigende Risiken, dass sich frühere Ungleichheiten beim Zugang zu Informationen, abhängig etwa von Subskriptionsetats, neu oder zusätzlich auch zu Ungleichheiten beim Publizieren entwickeln, v.a. beim APC-basierten Gold Open Access. Die Rede reißt mich wirklich mit. 

Bei der anschließenden Diskussion geht sie auch auf Double Dipping ein und dysfunktionale Transformationsverträge, die nur mit einer “global voice”, einer Kooperation zwischen dem globalen Süden und Norden sowie einheitlichen Standards bekämpft werden können, die wir zusammen und gegenüber den Verlagen anwenden. 

Etwas ermattet vom ersten Tag mache ich mich nur noch zu einer kurzen Orientierungsrunde über die Firmen- und Postervorstellung im Rahmen der Exhibition Opening Party auf.

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