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Mein Aufenthalt als LIBRARIAN IN RESIDENCE im Partnerland Niederlande 04.07.2022-17.07.2022

Ich hatte in diesem Jahr das Glück, von BII International und dem Goethe-Institut mit einem Stipendium für einen zweiwöchigen Fachaufenthalt im Rahmen des Programms Librarian in Residence 2022 im Partnerland Niederlande unterstützt zu werden. Für diese tolle Möglichkeit und Erfahrung möchte ich mich noch einmal herzlich bei den Fördergeber*innen bedanken!
Dank des Aufenthalts als librarian in residence konnte ich einen intensiven Einblick in das Bibliothekswesen unseres europäischen Nachbarlands gewinnen, viele Bibliotheken besuchen, mich mit den niederländischen Kolleg*innen austauschen und Kontakte knüpfen.
Mit diesem Bericht möchte ich meine vielen Eindrücke, Erlebnisse und Erkenntnisgewinne teilen.

LIBRARIAN IN RESIDENCE aus dem Bereich Öffentliche (Großstadt-)Bibliothek

Für das Programm Librarian in Residence 2022 im Partnerland Niederlande wurden ein Stipendiat aus einer wissenschaftlichen und eine Stipendiatin aus einer Öffentlichen Bibliothek in Deutschland ausgewählt.
Ich arbeite im Bereich Öffentliche Bibliothek im Bundesland Berlin, für eines der 12 Berliner bezirklichen Bibliothekssysteme, die Stadtbibliothek Pankow, und bin dort die stellvertretende Leiterin eines der 8 Pankower Bibliotheksstandorte, der Janusz-Korczak-Bibliothek.
Vielen niederländischen Bibliothekskolleg*innen fiel es übrigens schwer, die komplizierte zweistufige Struktur des Berliner Öffentlichen Bibliothekssystems zu verstehen.

Mein Lern- und Forschungsinteresse als librarian in residence

Ich habe mich für den Aufenthalt als Librarian in Residence im Partnerland Niederlande beworben, weil das Jahresthema 2022 „Vernetzung: Zusammenarbeit im Bibliotheksbereich und mit Partnern/ Einbeziehung in die Stadtentwicklung“ perfekt zu meinen Arbeitsaufgaben passt, zu denen auch das Management von Kooperationen und Outreach gehört. 
Zudem sind im Stadtbezirk Berlin Pankow einige Stadtentwicklungsmaßnahmen geplant, in deren Rahmen auch (Neu-)Bauvorhaben für Öffentliche Bibliotheken vorgesehen sind. 
Und schließlich, vor dem Hintergrund, dass sich das Land Berlin gerade in einem Prozess zur Bibliotheksentwicklungsplanung befindet und die Erarbeitung eines Entwurfs für ein Bibliotheksgesetz in dieser Legislaturperiode in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, wollte ich während meines Fachaufenthalts auch etwas über die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen, die kulturelle Infrastruktur und Bibliotheksgesetzgebung im Partnerland Niederlande herausfinden.

Vorbereitung auf den Residenzaufenthalt

Im Programm Librarian in Residence organisieren sich die Stipendiat*innen den Aufenthalt selbst, je nachdem welche Fragestellungen man untersuchen und mit welchen Expert*innen aus dem Bibliotheksbereich man sprechen möchte. Unterstützung bekommt man dabei aber von Seiten des Goethe-Instituts im Partnerland.
Schon mehrere Monate vor dem Residenzaufenthalt habe ich mit Vorbereitungen begonnen, zum Teil in Form von Recherche in Fachartikeln über niederländische Bibliotheken, z.B. in der BuB, zum Teil durch Befragung von Kolleg*innen, die bereits niederländische Bibliotheken besucht hatten. Ich habe auch Kontakt zum VOB (Vereniging van Openbare Bibliotheken), dem Fachverband der Öffentlichen Bibliotheken in den Niederlanden, aufgenommen.

Sehr herzlich bedanken möchte ich mich bei meiner Ansprechpartnerin beim Goethe-Institut Amsterdam, Barbara Mulzer, der dortigen Leiterin des Bereichs Information, Bibliothek und Webredaktion, für ihre Unterstützung bei allen Belangen rund um meine Rotterdamer Residenzunterkunft und der Kontaktvermittlung zu Ansprechpartner*innen in Bibliotheken im Partnerland!

Insgesamt habe ich 14 niederländische Bibliotheken angeschrieben und habe von fast allen eine Antwort mit einer Einladung zu einer Bibliotheksbesichtigung und einem Gespräch erhalten. Die gesamte Kommunikation mit den Bibliothekskolleg*innen im Partnerland verlief vor, während und nach dem Residenzaufenthalt auf Englisch.

Mit den folgenden 10 Bibliotheken konnte ich einen Termin vereinbaren und wurde persönlich empfangen:

  • Bibliotheek Rotterdam
  • Bibliotheek de Witte Dame (Eindhoven)
  • School 7 (Den Helder)
  • De Nieuwe Bibliotheek (Almere)
  • DOK Delft
  • Koninklijke Bibliotheek (KB)/Nationale Bibliotheek (Den Haag)
  • Openbare Bibliotheek Amsterdam
  • Chocoladefabriek (Gouda)
  • die Bibliothek des Goethe-Instituts Rotterdam
  • die Bibliothek des Goethe-Instituts Amsterdam

 

Zwei Bibliotheken, die ich unbedingt besichtigen wollte, mit denen im Zeitraum meines Aufenthalts aber leider kein persönlicher Termin zustande gekommen ist, habe ich einfach so besucht:

  • (Die grüne) Bibliotheek Schiedam in de Korenbeurs
  • LocHal (Tilburg)

 

Und eine Bibliothek, von der ich vorher noch nicht gehört oder gelesen hatte, war ein glücklicher Zufallsfund! Ohne die unbedingte Empfehlung der niederländischen Bibliothekskolleg*innen, hätte ich sie verpasst:

  • Forum Groningen

 

Gern besichtigt hätte ich auch Centre Ceramique (Maastricht), Rozet Arnhem und Het Eemhuis (Amersfoort), aber es muss ja auch noch etwas für einen nächsten Besuch in den Niederlanden übrig bleiben.

Als LIBRARIAN IN RESIDENCE unterwegs im Partnerland Niederlande

In der Zeit vom 04.07.2022 bis zum 17.07.2022 bin ich fast täglich von meiner Residenzunterkunft in Rotterdam aus zu meinen Besuchen und Erkundungen von Bibliotheken im ganzen Land gestartet. Ein wichtiges Hilfsmittel war dabei die OV-chipkaart , eine in allen öffentlichen Verkehrsmitteln im ganzen Land einsetzbare, immer wieder aufladbare Guthabenkarte, die in den Niederlanden die Papierfahrkarte ersetzt hat.
Bei meinen Bibliotheksbesuchen und -erkundungen habe ich viele tolle Eindrücke gesammelt und unzählige Fotos von inspirierenden Dingen gemacht, die ich gern in meinen Berliner Bibliotheksalltag übernehmen würde.
Trotzdem werde ich mich bei den folgenden Beschreibungen der von mir besuchten Bibliotheken auf meine 3 Hauptfragestellungen (Kooperation und Vernetzung, Stadtentwicklung, gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingen) konzentrieren.

Bibliotheek Rotterdam

Rotterdam ist nach Amsterdam die zweitgrößte Stadt der Niederlande und ist mit dem größten Seehafen Europas ein bedeutender Knotenpunkt für Handel, Transport und Verkehr. Rotterdams Bevölkerung ist jung und divers: mehr als 170 Nationalitäten leben in der Stadt, die 655.473 Einwohner*innen hat (Stand: 1. Januar 2022, Quelle: Wikipedia). Einer der berühmtesten Rotterdamer in der Geschichte der Stadt ist der Philosoph und Universalgelehrte Desiderius Erasmus van Rotterdam.

Nachdem die deutsche Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg das gesamte Stadtzentrum von Rotterdam (14. Mai 1940) und große Teile der Hafenanlagen (1944) durch Bombardierungen und dadurch ausgelöste Großbrände zerstört und ein US-amerikanischer Bombenangriff am 31. März 1943 weitere schwere Schäden verursacht hatte, beschloss die Stadt nach 1945 einen grundlegenden städtebaulichen Neubeginn. Die Rotterdammer*innen entschieden, die zerstörten Gebäude nicht wiederaufzubauen, sondern stattdessen eine neue Stadt mit modernem Grundriss, breiten Straßen und außergewöhnlicher Architektur zu errichten. Viele der ikonischen Bauten wurden von Architekt*innen von Weltruhm (Rem Kohlhaas, Piet Blom) entworfen. In Rotterdam haben viele bekannte Architekturbüros und das Nederlands Architectuurinstituut (NAi) (Nationales Museum für Architektur und Stadtplanung) ihren Sitz.

   

Direkt im Stadtzentrum, an der zentralen Einkaufsstraße Hoogstraat, neben der Markthalle und der St. Laurenskerk und unweit der Bahn- und Tramstation Blaak befindet sich die Zentralbibliothek des städtischen Bibliothekssystems Rotterdam mit 21 Standorten im Stadtgebiet (+ weiteren Standorten an Schulen). Seit 2013 hat die Bibliotheek Rotterdam die Rechtsform einer gemeinnützigen Stiftung (Stichting de Bibliotheek Rotterdam).

Selbst ein ikonisches Gebäude, mit einer Kaskaden-Fassade über sechs Stockwerke und verwinkelten gelben Rohren an der Außenfassade (Klimaanlage), gehört die Centrale Bibliotheek mit ihrer Gesamtfläche von 24.000 m² zu den größten Kultureinrichtungen in Rotterdam.

Hier treffe ich Marjoleine Molenaar (Executive Secretary) und Evelyne van Houselt, Projektmanagerin für den geplanten Bibliotheksneubau.
Der Sieger*innen-Entwurf für den Neubau ist im Foyer der Bibliothek ausgestellt. Das öffentliche Beteiligungsverfahren hat u.a. ergeben, dass Nutzer*innen das Riesen-Schachspiel auch in der neuen Bibliothek haben möchten. 

Die jetzige Zentralbibliothek befindet sich seit 1983 im Gebäude in der Hoogstraat und beherbergt auf 6 Etagen u.a.: 

  • das Bibliotheks-Theater (das auch für geschäftliche und kulturelle Tagungen und Veranstaltungen angemietet werden kann, falls gewünscht, auch mit Livestream und/oder Aufzeichnung) 
  • die Bistrobar Binnenrotte (das Gastronomieunternehmen übernimmt bei gebuchten Tagungen und Kongressen in der Bibliothek auch das Catering)
  • Starbucks mit der Bieb to go (wo bereitgestellte Medien auch außerhalb der Bibliotheksöffnungszeiten abgeholt werden können)
  • eine Verkaufsstelle von Rotterdampas (der Rotterdam-Pass bietet Menschen aller Altersstufen ein Jahr lang viele Preisvorteile bei Freizeit-, Kultur-, Sport- und Bildungsaktivitäten in und um Rotterdam, ähnlich wie der Super-Ferien-Pass für Berlin)
  • die Arbeitsvermittlung Rijnmond Werken Door
  • das Zentrum für Jugend und Gesundheit in Kooperation mit Stiftung CJG Rijnmond (Beratung und Kurse im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheitspflege, Umsetzung des Nationalen Impfprogramms)
  • den Makerspace-Treffpunkt Maakplaats010 / Maakcafé (nach vorheriger Buchung kann die Werkstatt mit 3D-Drucker, Lasercutter und Vinylschneider, einer Stickmaschine, einer Heißpresse u.a. bis zu 30 Minuten kostenfrei genutzt werden / zu den Terminen des Make Cafés können kreative Techniken unter Anleitung gemeinsam mit Anderen ausprobiert werden, für beide Angebote werden Materialkosten berechnet)
  • einen durch Vorhänge abtrennbaren Filmsaal
  • einen Co-Working-Bereich mit Arbeitsplätzen und -kabinen
  • verschiedene Info- und Kontaktstellen für eine niedrigschwellige Beratung und Weitervermittlung in die zahlreichen Angebotsformate zur Umsetzung der nationalen Bildungsprogramme zum Lebenslangen Lernen, zur digitalen Inklusion, zur Sprach- und Leseförderung und Grundbildung/Alphabetisierung

 

Unter den Angeboten zur Sprach- und Leseförderung gefallen mir besonders gut die Angebote zum Niederländisch-Lernen in der Bibliothek, die Menschen anderer Muttersprachen und Neu-Zugezogenen helfen, schnell in Rotterdam anzukommen und erste Kontakte zu knüpfen.

Für diese Angebote bietet die Bibliothek die Plattform und übernimmt die Funktion der Vermittlerin – die Durchführung der Angebote, in die weitergeleitet wird, übernehmen zum großen Teil kooperierende Einrichtungen und zahlreiche Freiwillige/Ehrenamtliche.
Um diese aktiv anzuwerben, gibt es in der Zentralbibliothek eine Freiwilligen-Informationsstelle.

Auch interessierte neue Kooperationspartner*innen werden aktiv angeworben und können sich über ein Kontaktformular auf der Webseite oder direkt beim Kund*innenservice in der Bibliothek melden.

Die Centrale Bibliotheek Rotterdam beherbergt außerdem auch historische Sondersammlungen mit wertvollen Objekten, die sie in speziell klimatisierten Räumen aufbewahrt und Wissenschaftler*innen und interessierten Bürger*innen zu Forschungszwecken zur Verfügung stellt.

Die bekannteste historische Sammlung der Bibliothek ist die Erasmus-Sammlung, die weltweit größte Sammlung von Schriften von und über Desiderius Erasmus van Rotterdam. Sie umfasst rund 6.000 Objekte mit Manuskripten, Ausgaben des 15. Jahrhunderts, Erstausgaben von Erasmus-Texten, vier von Erasmus selbst verfasste Briefe und Texte zu aktuellen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen. Die Sammlung wird ergänzt durch die weltweit kostenlos zugängliche Erasmus Online Database
Flankierend dazu gibt es in diesem Jahr ein interaktives Vermittlungsprojekt im offenen Publikumsbereich der Zentralbibliothek, die Erasmus Experience. Sie ist für alle Besucher*innen kostenfrei zugänglich und erlaubt es ihnen, sich in forschender, spielerischer Form mit dem kulturellen Erbe ihrer Stadt auseinanderzusetzen.

 

Eine weitere temporäre Ausstellung zur Vermittlung des städtischen kulturellen Erbes, die die Bibliothek in Kooperation mit Archeologie Rotterdam präsentiert, ist die Ausstellung über einen 750 Jahre alten Kahn, den Archäolog*innen bei Bauarbeiten unweit der Bibliothek gefunden haben. Der Kahn kann aus nächster Nähe betrachtet werden, dazu liefern zwei Filme weitere Hintergrundinformationen.

 

Die Bibliothek vermittelt aber nicht nur das kulturelle Erbe der Vergangenheit, sondern fördert auch Talente in der Gegenwart und für die Zukunft der Kommune.
Alle zwei Jahre wählt ein externes Komitee eine*n Rotterdamer Stadtdichter*in, die*der jährlich mindestens sechs Gedichte über und für die Stadt und ihre Bewohner*innen schreibt.

Zu einem der Gedichte des Stadtdichters (2019-2020) Dean Bowen hat die Bibliothek ein Video co-produziert, die Bibliothek tritt also auch als Produzentin von eigenem Content auf.

Rotterdam wird im August 2023 Gastgeberin des 88. IFLA World Library and Information Congress sein und hat auch dazu schon ein Begrüßungs-Video produziert. 

Eine Zweigstelle der Bibliotheek Rotterdam, an der viele anreisende Besucher*innen dann vorbeikommen werden, ist die Stationsbibliotheek im Hauptbahnhof. 

Koninklijke Bibliotheek (KB)/ Nationale Bibliotheek in Den Haag

In Den Haag befindet sich der Parlaments- und Regierungssitz der Niederlande, die Residenz des niederländischen Königshauses und die Nationalbibliothek der Niederlande, die Koninklijke Bibliotheek (KB).

Hier treffe ich Sander van Kempen, der in der KB für die Belange der Öffentlichen Bibliotheken tätig ist und mir die besondere Rolle und die zentralen Aufgaben, die die KB für die Öffentlichen Bibliotheken in den Niederlanden übernimmt, erläutert. Channa Hoogervorst vom KB-Projekt Delpher, einer umfangreichen Zeitschriftenbank, die alle Bürger:innen für private Zwecke und Forschung frei nutzen können, führt mich im Anschluss durch die KB. 

Koordinierende Funktion im Netzwerk Öffentliche Bibliotheken

Mit der Einführung des Bibliotheksgesetzes von 2015 (Wsob) hat die KB eine koordinierende Rolle im Öffentlichen Bibliothekswesen der Niederlande übernommen.
Die Öffentlichen Bibliotheken des Landes (organisiert in ca. 150 städtischen bzw. regionalen Bibliothekssystemen) bilden gemeinsam mit den neun Förderorganisationen in den Provinzen, den POI’s, (Provinciale Ondersteuningsinstelling) und der Koninklijke Bibliotheek das Netzwerk der Öffentlichen Bibliotheken (Netwerk openbare bibliotheekvoorzieningen).

Die neun POIs, zu denen z.B. ProBiblio oder Cubiss gehören, sind ihrerseits noch einmal in der Stiftung SPN (Stichting Samenwerkende POI’s Nederlands) zusammengeschlossen.

Die Vereniging Openbare Bibliotheken (VOB) ist der Fachverband der Öffentlichen Bibliotheken der Niederlande

Bibliotheksgesetz (Wsob)

Das niederländische Bibliotheksgesetz (Wsob) ist am 1. Januar 2015 in Kraft getreten und wird derzeit evaluiert. Unter Bibliotheksfachleuten gilt das bisherige Gesetz als nicht präzise, verbindlich und weitgreifend genug.

Bibliotheksvertrag 2020-2023

Im Oktober 2020 haben das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft (OCW), der Zusammenschluss der niederländischen Provinzen (IPO), der Zusammenschluss der niederländischen Kommunen (VNG), die Nationalbibliothek (KB), der Fachverband der Öffentlichen Bibliotheken der Niederlande (VOB) und die Stiftung (SPN) den „Bibliotheksvertrag 2020-2023“ unterzeichnet.
Mit dem „Bibliotheksvertrag 2020-2023 – Vertrag mit Vereinbarungen über den Beitrag von Bibliothekseinrichtungen in den Niederlanden zu sozialen Belangen“ verpflichten sich die Öffentlichen Bibliotheken und die drei Regierungsebenen zu gemeinsamen nationalen Maßnahmen zur durchgehenden Sprach- und Leseförderung, zur digitalen Inklusion und zur Förderung von Basiskompetenzen und lebenslangem Lernen.

Unter zentraler Koordination durch die KB wurden nationale Programme konzipiert, die an allen Öffentlichen Bibliotheken des Landes umgesetzt werden. Hier einige Beispiele, die ich in allen von mir besuchten Bibliotheken wiedergefunden habe:

  • Workshop Klik & Tik , ein nationales Programm im Bereich digitale Grundbildung, in dem Einsteiger*innen die Bedienung eines Computers, den Umgang mit einem Tablet sowie die Nutzung des Internets, von E-Mail-Programmen und Social Media kennen lernen
  • Informatiepunt Digitale Overheid (IDO) ist eine Anlaufstelle, wo Bürger*innen im Umgang mit der digitalen Verwaltung und bei der Nutzung von digitalen Behördendiensten unterstützt werden, z.B. bei der Erneuerung des Führerscheins, der Beantragung von Wohngeld, der Vermittlung von Langzeitpflege oder bei Fragen zur Steuererklärung
  • BoekStart, das nationale Programm zur frühkindlichen Leseförderung für Kinder von 0 bis 4 Jahren und ihre Eltern, wurde in Zusammenarbeit von der KB mit der Stichting Lezen (Stiftung Lesen) entwickelt, ist Teil des Förderprogramms Kunst van Lezen und wird vom Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft (OCW) finanziert

Auch das nationale Schulbibliotheksprogramm de Bibliotheek op school (die Bibliothek in der Schule) ist Teil des Förderprogramms Kunst van Lezen, wurde ebenfalls von der KB und der Stichting Lezen (Stiftung Lesen) entwickelt und wird vom Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft (OCW) finanziert. Schulbibliotheken stehen in Grundschulen und in der Sekundarstufe zur Verfügung. Im Grundschulbereich liegt der Schwerpunkt auf der Leseförderung. In der Sekundarstufe stehen die Recherche und der Umgang mit Informationen im Fokus sowie das Verfassen von Abschlussarbeiten.

Neben der Koordination der staatlich geförderten nationalen Bildungsprogramme ist die KB auch bei anderen Aufgaben zentrale Dienstleisterin für die niederländischen Öffentlichen Bibliotheken. Zu den zentralisierten Services gehören z.B.:

  • die Nationale Digitale Infrastruktur (LDI), die gemeinsame IKT-Infrastruktur für das Netzwerk Öffentlicher Bibliotheken in den Niederlanden
  • die zentrale E-Book-Erwerbung für die Online-Bibliotheek
  • die zentrale Verwaltung der Jeugd­bibliotheek.nl  (Kinder- und Jugendbibliothek), die alle Angebote der niederländischen Bibliotheken für Kinder und Jugendliche von 0 bis 18 Jahren bündelt
  • die zentrale Verwaltung von Bibliotheekinzicht.nl (Einblick in die Bibliothek), das  Daten von Bibliotheken erhebt, in einer zentralen Datenbank zur Verfügung stellt und daraus z.B. Leistungs- und Nutzungsstatistiken erstellt und diese analysiert. Im Bibliotheksgesetz von 2015 (Wsob) ist festgelegt, dass die KB und die Bibliotheksorganisationen dem Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft (OCW) gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Dazu müssen sie jährlich Daten übermitteln, die sogenannten Wsob-Daten. Bibliotheekinzicht.nl wird demnächst in Bnetwerk integriert.
Bibliotheek de Witte Dame in Eindhoven

Eindhoven ist mit 238.305 Einwohner*innen (Stand: 1. Januar 2022, Quelle: Wikipedia) die fünftgrößte Stadt der Niederlande und gilt als Technologiezentrum im Süden des Landes. Durch die Student*innen der Technischen Universität Eindhoven, der Design Academy Eindhoven (DAE) und einiger anderer Hochschulen ist der Altersdurchschnitt der Stadtbevölkerung relativ niedrig. Das heutige Eindhoven entstand durch das Zusammenwachsen mehrerer Gemeinden in Folge der industriellen Entwicklung um 1900, als Gerard Philips 1891 mit der Herstellung von Glühbirnen und Lampen begann und seine Fabrik immer mehr Arbeitnehmer*innen anzog. Später trug auch die LKW-Produktionsfirma DAF zur Expansion der Stadt bei. Während des Zweiten Weltkriegs zerstörten schwere Bombardierungen durch die Alliierten große Teile der Stadt. Während des anschließenden Wiederaufbaus blieben nur sehr wenige historische Gebäude erhalten.

 

Die Bibliotheek De Witte Dame („Weiße Frau“), Hauptstandort der Bibliotheek Eindhoven mit ihren drei Standorten (+ weiteren Standorten in Schulen) befindet sich direkt gegenüber dem Philips Museum auf dem ehemaligen Gelände der früheren Philips-Röhrenwerke in einem weiß getünchten Industriebau.

Der Publikumsbereich der Bibliothek erstreckt sich über die ganze erste Etage des Gebäudes.

In der Bibliotheek De Witte Dame treffe ich Direktor Albert Kivits. In seinem Visionsdokument Visiedocument de Bibliotheek Eindhoven (2019) bezeichnet er die Bibliothek „als Entwicklerin von Menschen“ und betont die Wichtigkeit von community librarianship (David Lankes) für die Arbeit der Bibliotheek Eindhoven und ihrer POI (Unterstützungsorganisation auf Provinz-Ebene) Cubiss
Cubiss bietet Kurse für die Qualifizierung zum community librarian an, eines der wenigen Aus- bzw. Weiterbildungsangebote zum „Bibliotheksberuf“ in den Niederlanden, wo es keine spezifische Bibliotheksausbildung und keine spezifischen bibliothekarischen Studiengänge gibt. 

Auf der Webseite der Bibliotheek Eindhoven stellen sich alle Mitarbeiter*innen der Bibliothek mit einem Kurzprofil und Foto vor, die bezahlten wie auch die freiwilligen / ehrenamtlichen.

Dieselbe Transparenz und Sichtbarkeit gilt für Kooperationspartner*innen der Bibliothek, auch sie sind auf der Webseite aufgeführt.

Der umfangreiche Bestand an internationaler Kinder- und Jugendliteratur in vielen verschiedenen Sprachen (Bulgarisch, Chinesisch, Französisch, Italienisch, Persisch, Polnisch, Rumänisch, Ukrainisch, Indisch, Koreanisch, Türkisch, Französich, Englisch, Spanisch u.a.) wurde z.B. in Kooperation mit dem Heritage Language Education Network (Bildungsnetzwerk für Herkunftssprachen) und The Reading Pier (gemeinnützige, von 2 Müttern gegründete Organisation) aufgebaut.

In der Bibliothek gibt es natürlich ein Gastronomieangebot…

… und einen Makerspace /eine Werkstatt für Jugendliche, in der in Kooperation mit anderen Einrichtungen Angebote stattfinden.

Die Öffentliche Bibliotheek Eindhoven gibt es seit 1916. Zum 100-jährigen Jubiläum, 2016, wurden Grundschulkinder gefragt, wie sie sich ihre Stadt und die Welt in 100 Jahren, 2116, vorstellen. Im Holzregal an der Wand, das den Stadtplan von Eindhoven symbolisiert, stehen die im 3-D-Druck hergestellten Zukunftsvisionen der Kinder, zusammen mit einem kleinen Kommentar. Wieder ein tolles Beispiel, wie Bibliotheken Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ihrer Kommune verknüpfen können.

 

School 7 in Den Helder

Den Helder liegt an der nördlichen Spitze der Halbinsel (und Provinz) Noord-Holland an der Nordseeküste und hat 56.338 Einwohner*innen (Stand: 1. Januar 2022, Quelle: Wikipedia). Die Stadt besitzt einen großen Hafen und ist Stützpunkt der königlichen Marine. Von Den Helder aus starten die Helikopter, die die Bohrinseln in der Nordsee versorgen und auch die Autofähre zur benachbarten Westfriesischen Insel Texel. Aufgrund der strategischen Lage war Den Helder die im Zweiten Weltkrieg am stärksten bombardierte Stadt der Niederlande, viele alte Gebäude wurden zerstört. Außerdem mussten wegen des Baus des Atlantikwalls und der Errichtung massiver Bunker entlang der Küstenlinie durch die deutschen Streitkräfte viele Einwohner*innen ihre Häuser verlassen.

Die Bibliotheek Den Helder „School 7“  ist Hauptstandort des regionalen Bibliothekssystems KopGroep mit 18 Bibliotheken in vier Gemeinden (+ weiteren Standorten in Schulen). 
Dort treffe ich die ehemalige (und jetzige stellvertretende) Direktorin Jacinta Krimp und die Direktorin (und frühere Stellvertreterin) Anita Ruder.

 

Die Bibliotheek Den Helder School 7 besteht aus einem ehemaligen Schulgebäude, das um einen modernen Anbau ergänzt wurde. Das Gebäude stellt eine räumliche Verbindung zwischen dem Hafen und der Stadt her.

Der historische Teil des Gebäudes wurde 1905 für den regulären Grundschulunterricht in der Kommune errichtet. Damals war es üblich, den Schulen Nummern zu geben, und das Gebäude an der Weststraat wurde zur Gemeenteschool 7. Da die Bewohner*innen von Den Helder das Gebäude unter diesem Namen kennen, wurde der Name „School 7“ („Schule 7“) auch für die Bibliothek beibehalten, die nach vielen Zwischennutzungen durch andere Akteur*innen 2016 in das umgebaute und erweiterte Gebäude einzog.
Bauherrin und Eigentümerin der Bibliotheek Den Helder School 7 ist übrigens nicht, wie es sonst üblich zu sein scheint, die Stadtverwaltung, sondern die lokale Wohnungsbaugesellschaft Woningstichting Den Helder. Im Zuge von Stadtentwicklungsmaßnahmen zur Wiederbelebung der Innenstadt kaufte sie das Gebäude 2012 und ließ es in eine Bibliothek umbauen, in der auch folgende Partner*innen untergebracht sind:

 

Schon kurz nach ihrer Eröffnung 2016, gewann „School 7“ viele Preise. So wurde sie 2017 als „beste Bibliothek der Niederlande“ ausgezeichnet und erhielt 2018 den IFLA Award „Public Library of the Year“.

 

Die Klassenzimmer der ehemaligen Schule, die Besprechungsräume und der Theatersaal mit 87 Plätzen können nicht nur für Präsentationen, Meetings, Vorträge und Aufführungen angemietet werden sondern sogar für Hochzeiten! 
Die Direktorin, Anita Ruder, wurde als außerordentliche Beamtin vereidigt und darf rechtskräftige Trauungen vollziehen. Heiraten in „School 7“ ist an jedem Tag in der Woche möglich und kostet 200 €, ohne MwSt. und die Hochzeitsgebühr der Gemeinde Den Helder. Das hauseigene Lesecafé kümmert sich auf Wunsch um das Catering.

Für Bühnenaktivitäten wie Schulaufführungen, Musikperformances oder Buchpräsentationen von Nachwuchstalenten, die während der Öffnungszeiten stattfinden und keinen Eintritt kosten, stellt die Bibliothek ihre Räumlichkeiten als Podium kostenfrei zur Verfügung. 

Durch die Förderung von Nachwuchstalenten, die Möglichkeit in „School 7“ zu heiraten und die Bedeutsamkeit, den der Ort für viele Bewohner*innen von Den Helder hat, die hier früher zur Schule gingen, stellt die Bibliothek eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft der Stadt dar.

Viele Aktivitäten und Programme (z.B. Vorlese- und Sprachlernpatenschaften, aufsuchende Bibliotheksdienste, Umsetzung der nationalen Programme zur digitalen Bildung, zur Sprachförderung oder zur Bekämpfung von Analphabetismus u.a.) werden mit Unterstützung von Freiwilligen/Ehrenamtlichen durchgeführt, die als Team-Mitglieder/freiwillige Mitarbeiter*innen bezeichnet, aktiv angeworben, geschult und eingearbeitet werden. In einem YouTube-Video stellt sich einer von ihnen vor. 

Ohnehin nutzt die Bibliothek für Öffentlichkeitsarbeit und die Kommunikation ihrer Angebote neben Printwerbung auch viele, auf ihrer Webseite eingebundene YouTube-Videos. In diesem hier z.B. stellt die Bibliothek sich und ihre vielfältigen Angebote in Form eines digitalen Rundgangs vor. 

Auch Führungen durch „School 7“ in physischer Form werden regelmäßige kostenlos angeboten (Spenden sind willkommen).

De Nieuwe Bibliotheek in Almere

Almere ist die am schnellsten wachsende Stadt der Niederlande mit derzeit 217.843 Einwohner*innen (Stand 1. Januar 2022, Quelle: Wikipedia). Sie wurde erst 1975 gegründet und liegt im Südwesten von Flevoland, der jüngsten Provinz der Niederlande, an deren Stelle noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts Wasser war. Um die wachsende Bevölkerung von Amsterdam unterbringen zu können, wurde beschlossen, die Zuiderzee einzudämmen und trocken zu legen. Das Resultat: eine junge Provinz, errichtet auf Poldern, die erst in den 1960er-Jahren dem Ijsselmeer abgerungen wurden. Das Stadtbild von Almere ist geprägt von moderner Architektur, breiten Shoppingstraßen und Naturschutzgebieten in der Umgebung; historische Bauten gibt es keine.

Und so ist auch die De Nieuwe Bibliotheek in Almere Stad , Hauptstandort von insgesamt 4 Zweigstellen der Öffentlichen Bibliothek Almere (+ weiteren Standorten in Schulen) ein moderner Bibliotheksneubau, direkt am Marktplatz gegenüber dem Rathaus und der Kommunalverwaltung gelegen und mit seiner Erdgeschoss-Ebene in die Fußgänger- und Einkaufsmeile integriert.

Ich treffe dort Direktorin Annerie Brennikmeijer.

 

Die Eingangshalle im Hochparterre ist ein überdachter Stadtplatz. Die großzügigen Ausstellungsflächen lassen sich dank des mobilen Mobiliars schnell in eine Bühne für Veranstaltungen jeglicher Art umfunktionieren. Es gibt auch ein Klavier, an dem gespielt werden darf. Die oberen Etagen sind wie Galerien angeordnet und erlauben von oben immer einen Blick auf „den Marktplatz“ unten.

Am Rande der ansteigenden Leseterrassen im Eingangsbereich liegt das Café /Bistro „Nieuwscafé“

Im Innenhof gibt es einen Lesegarten und im angrenzenden Kinder- und Jugendbereich eine Digital- und Medienwerkstatt.

In den oberen Etagen befinden sich die Kinosäle des Het nieuwe filmhuis, in denen neben Filmvorführungen, Filmpremieren und Filmfestivals auch Konzerte, Theateraufführungen und Lesungen stattfinden.

Außerdem gibt es großzügige Co-Working-Bereiche, die für Firmen-Events und Kongresse angemietet werden können.

Mit Windesheim, einer der größten Fachhochschulen in den Niederlanden, teilt sich die Bibliothek angrenzende Räumlichkeiten. Student*innen und andere Menschen, die einen Platz zum konzentrierten Arbeiten benötigen, können die Arbeits- und Lernumgebungen beider Einrichtungen nutzen. 

DOK Delft

Delft, mit einer Einwohner*innenzahl von 104.533 Menschen (Stand: 1. Januar 2022, Quelle: Wikipedia), gehört zu den ältesten Städten der Niederlande und hat sich durch das historische Stadtbild den typischen Charakter altholländischer Städte bewahrt. Die Altstadt mit den Grachten, Gassen und Giebelhäusern hat sich in den letzten Jahrhunderten kaum verändert und birgt zahlreiche Sehenswürdigkeiten, die von ihrer Vergangenheit als blühende Handelsstadt im Goldenen Zeitalter zeugen. Der berühmte Maler Jan (Johannes) Vermeer stammte aus Delft.
Seit dem frühen 17. Jahrhundert war Delft außerdem für seine Keramikmanufakturen und die dort hergestellten Delfter Keramiken in delfts blauw („Delfter Blau“) bekannt. Delft ist mit der 1842 gegründeten Technischen Universität außerdem Universitäts-und Technologiestadt und profiliert sich auf den Gebieten der Raumfahrttechnik, des industriellen Designs und der Architektur.

Im Kontrast zur historischen Altstadt steht das OPEN Delft, das: 

  • den Hauptstandort der Öffentlichen Bibliothek Delft (DOK Centrum)
  • De VAK , eine Kunst-, Musik- und Tanzschule, deren rund 100 Mitglieder unabhängige Kleinunternehmer*innen sind und (kostenpflichtige) Kurse und Workshops für Kinder und Erwachsene in den Bereichen Bildende Kunst, Tanz, Theater, Schreiben und Musik anbieten
  • und natürlich auch ein Café/Bistro

beherbergt. (In direkter Nachbarschaft von OPEN Delft gibt es auch ein Kino.)

Im DOK Centrum treffe ich Direktor Yuri Matteman und Maaike Homans, verantwortlich für das Online-Marketing bei DOK Delft. An den 2 Standorten der Öffentlichen Bibliothek Delft (+ weiteren Standorten in Schulen) arbeiten rund 70 Kolleg*innen mit ca. 200 engagierten Freiwilligen/Ehrenamtlichen zusammen.

Das DOK Centrum im OPEN bietet auf drei Etagen siebzehn Unterrichtsräume, zwei Mal- und Töpferateliers, drei Tanzsäle und Bühnen für öffentliche Aufführungen an.

 

Die Bühne im Erdgeschoss, wo die breite Treppe mit ihren Sitzstufen als Tribüne dient, wird häufig für (Mittags-)Konzerte und Tanz- und Theateraufführungen von Kursteilnehmer:innen der De VAK genutzt, die ihr Können dem öffentlichen Publikum präsentieren.

In Vitrinen werden Ausstellungsstücke zeitgenössischer Keramik-Künstler*innen präsentiert, als Verweis auf den berühmten Industriezweig der Stadt, die Keramik-Herstellung.

Openbare Bibliotheek Amsterdam

Amsterdam ist mit 904.704 Einwohner*innen (Stand: 1. Januar 2022, Quelle: Wikipedia) die bevölkerungsreichste Stadt und Hauptstadt der Niederlande. In Amsterdam leben Menschen mit 180 Nationalitäten und 360 verschiedenen Sprachen. In der dicht besiedelten Metropolregion Amsterdam (MRA) leben etwa 2,5 Millionen Menschen, das sind mehr als 14 Prozent der niederländischen Bevölkerung.

Der Hauptstandort der Openbare Bibliotheek Amsterdam, kurz OBA Amsterdam, mit 28 Standorten (+ weiteren Standorten in Schulen) 
befindet sich in zentraler Lage unweit des Hauptbahnhofs am Oosterdok. Im Nachbargebäude befindet sich das Conservatorium van Amsterdam, die größte Musikhochschule des Landes.

In der OBA Oosterdok treffe ich Chris Sigaloff, verantwortlich für die Planung des Neubauprojekts – denn, obwohl die jetzige Zentralbibliothek erst 2007 eröffnet wurde und mit 9 Stockwerken und einer Fläche von 28.000 m² die größte Bibliothek der Niederlande ist, genügt sie den Bedarfen bereits nicht mehr.

Im derzeitigen Gebäude der OBA Oosterdok gibt es u.a.:

  • ein Theater mit 260 Sitzplätzen
  • Kinosäle
  • ein Restaurant mit einer Dachterrasse, die von April bis Oktober für Besucher*innen geöffnet ist und einen spektakulären Blick über die Stadt bietet
  • Räumlichkeiten für Tagungen und Kongresse sowie Co-Working-Bereiche, die gemietet werden können
  • ein Rundfunk- und Fernsehstudio
  • die digitale Kreativwerkstatt/Makerspace für Kinder Maakplaats 021
  • zahlreiche Lern- und Beratungsangebote in den Bereichen Sprache, Integration, Grundbildung, Soziales und digitales Lernen im Rahmen der nationalen Programme, in die vor Ort viele städtische Einrichtungen, Initiativen und Freiwillige/Ehrenamtliche eingebunden sind 
  • und noch viel, viel mehr

In der Fülle und der großen Bandbreite an Kooperationspartner*innen, die auch auf der Webseite transparent und sichtbar gemacht wird, haben mich drei Beispiele besonders beeindruckt:

Het Huis van alle Talen (Das Haus aller Sprachen)  ist eine über mehrere Stockwerke verteilte Sammlung von internationalen Büchern in vielen verschiedenen Sprachen. In Amsterdem leben Menschen mit 180 Nationalitäten und 360 verschiedenen Sprachen. Die Sammlungen im Haus aller Sprachen wurden kollaborativ entwickelt, in Zusammenarbeit mit den Botschaften und Konsulaten verschiedener Länder und mehrsprachigen Communities in Amsterdam. Neben dem Bestandsaufbau geht es aber auch um Vermittlung und Beratung durch Expert*innen. Dazu kooperiert die OBA mit den Kulturinstituten verschiedener Ländern, die in der Bibliothek einen festen Arbeits- und Auskunftsplatz haben, wie z.B. das Institut français 

Ebenfalls einen festen Arbeits- und Auskunftsplatz in der Bibliothek hat IHLIA ,  Kulturerbe-Organisation und Archiv im Bereich LGBTI* mit der größten LGBTI*-Sammlung in Europa.

Und auch die Zusammenarbeit der OBA mit der Hogeschool van Amsterdam (HvA) (Amsterdam University of Applied Sciences) ist sehr spannend. In Kooperation mit der Bibliothek entwickeln die Studierenden digitale Produkte wie Apps, Datenvisualisierungen, digitale Wegweiser oder Gamedesign-Anwendungen für den Makerspace der Bibliothek.

Chocoladefabriek in Gouda

Die Stadt Gouda liegt im „Grünen Herzen“ der Niederlande, einem landwirtschaftlich geprägten Gebiet inmitten des dicht besiedelten Ballungsgebiets und der Metropolregion Randstad mit ihren Großstädten. In Gouda leben 74.134 Einwohner*innen (Stand: 1. Januar 2022, Quelle: Wikipedia). Die Stadt ist traditionell bekannt für die Herstellung und den Handel mit Käse, aber die Bibliothek befindet sich in einer ehemaligen Schokoladenfabrik.

In der Chocoladefabriek Gouda treffe ich Direktorin Erna Staal.
Seit 2014 ist der Hauptstandort der Stadtbibliothek Gouda hier untergebracht und teilt sich das Gebäude und diese kulturelle Plattform in der Stadt mit verschiedenen Partner*innen. Auf der Webseite werden sie als „Bewohner*innen“ der Chocoladefabriek bezeichnet, zu ihnen gehören:

  • das Regionalarchiv Mittelholland, das allen interessierten Bürger*innen zur Verfügung steht, um z.B. nach Vorfahren zu suchen, die Geschichte des eigenen Hauses oder der Straße zu erforschen und um Andere zu treffen, mit denen man historisches Wissen und Geschichten austauschen kann
  • die Stiftung Druckerwerkstatt Gouda, die an die einstige Vergangenheit von Gouda als bekannte Druckerstadt anknüpft, dieses alte Handwerk pflegt und an zukünftige Generationen weitervermittelt 
  • das Café-Restaurant „Kruim – essen & trinken“ mit Außenterrasse 
  • das private IT-Unternehmen VRSpace, das Technologiepartner der Chocoladefabriek ist und z.B. Virtual-Reality-Konzepte entwickelt und  Demonstrationen durchführt
  • das private Unternehmen E-Chopper, das E-Chopper (elektrisch angetriebene Mopeds) vermietet, einige der empfohlenen Ausflugsrouten wurden in Zusammenarbeit mit der Bibliothek und dem Regionalarchiv entwickelt
  • das Widerstandsmuseum Südholland Libertum, das neben Ausstellungen auch Veranstaltungsformate zur gesellschaftlichen Debatte und Bildungsveranstaltungen für Kinder und Jugendliche organisiert
  • das Mirakel Musicaltheater, in dem Kinder in (gebührenpflichtigen) Kursen und Workshops singen, tanzen und schauspielern lernen können, die Nachwuchstalente treten in Veranstaltungen auf der Bühne der Bibliothek auf

Als ich die Chocoladefabriek besucht habe, fanden gerade Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen statt: in der 2. Etage wurden neue Werkstatt- und Makerspace-Bereiche eingerichtet, für:

  • eine digitale Werkstatt mit VR- und Robotertechnik
  • eine Werkstatt mit Platz zum Schreinern, Sägen, Löten
  • eine Talentfindungs-Werkstatt für Kinder von 4 bis 12 Jahren
  • eine Medienwerkstatt mit Greenscreen, Computern, Film- und Tonaufnahmegeräten sowie anderem professionellem Equipment, in der eigene Medienproduktionen erstellt werden können und Workshops und Kurse für Laien und Profis angeboten werden  

Die Medienwerkstatt übernimmt außerdem die Aufzeichnung von Veranstaltungen in der Chocoladefabriek und unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit.

Hier kann man einen Film über die Chocoladefabriek sehen und hier einen 360°-Rundgang.  

(Die „grüne“) Bibliotheek Schiedam in de Korenbeurs

Leider hat es nicht geklappt, in der Zeit meines Residenzaufenthalts einen Besuchstermin zu vereinbaren, aber weil ich die erste „grüne Bibliothek“ der Niederlande unbedingt besichtigen wollte, bin ich an einem Sonntag Nachmittag spontan vorbeigegangen.

Schiedam befindet sich 3 km südwestlich vom Rotterdamer Stadtzentrum und ist in nur 6 Minuten mit dem Zug von Rotterdam Centraal aus zu erreichen. Die Stadt, in der heute 79.777 Einwohner*innen (Stand: 1. Januar 2022, Quelle: Wikipedia) leben, wurde im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört und besitzt noch ihre ursprünglichen Grachten und Giebelhäuser.

 

Bekannt wurde Schiedam im 18. Jahrhundert durch die Produktion von Jenever, dem traditionellen holländischen Gin, der aus Malz und Wacholder hergestellt wird. In der Stadt gab es neben mehreren Windmühlen zum Mahlen von Getreide auch zahlreiche Jenever-Destillerien. Im ehemaligen Gebäude der Korenbeurs (Getreidebörse), in dem mit dem für die Jenever-Produktion so wichtigen Getreide gehandelt wurde, befindet sich seit 2015 die Bibliotheek Schiedam in de Korenbeurs, die erste „grüne Bibliothek“ der Niederlande.

                       

Der hohe Innenraum ist durch Pflanzen begrünt (manche Bäume sind bis zu 6 Meter hoch), es gibt Bücherregale aus recyceltem Industriekarton, Stühle aus recycelten PET-Flaschen und LED-Beleuchtung. Und natürlich ein Bistro/Café.

Im Obergeschoss der Bibliothek befinden sich zwischen Bücherregalen und Arbeitsplätzen Vitrinen mit Ausstellungsstücken zur Jenever-Herstellung, die auf die Geschichte des Gebäudes und der Stadt verweisen. Es gibt auch zwei Säle, die für Präsentationen, Vorträge oder Meetings angemietet werden können. 

LocHal in Tilburg

Da es leider nicht geklappt hat, in der Zeit meines Residenzaufenthalts einen Besuchstermin zu vereinbaren, habe ich mich an einem Samstag Nachmittag auf eigene Entdeckungstour durch die LocHal in Tilburg gemacht. Dabei war der Rundgangs-Flyer, den die LocHal für Besucher:innen im Eingangsbereich ausliegen hat, eine tolle Unterstützung.

Tilburg, mit einer Einwohner*innenzahl von 224.455 (Stand: 1. Januar 2022; Quelle: Wikipedia) ist eine Stadt in der Provinz Noord-Brabant, die durch ihre Metall- und Textilindustrie Bedeutung erlangte. 2012 wurde von Tesla Motors, dem weltgrößten Hersteller von Elektroautos, ein Werk und ein Vertriebszentrum für den europäischen Markt in Tilburg errichtet.

Die LocHal befindet sich in zentraler Lage direkt neben dem Bahnhof. 
Der ehemalige Lokschuppen wurde noch bis in die 1980er-Jahre hinein von der niederländischen Bahn zum Bau und zur Reparatur von Loks und Waggons genutzt. Weil das Gebäude die Geschichte der Stadt repräsentiert, sollte es erhalten bleiben, als die Stadt Tilburg das ehemalige Bahngelände erwarb, um dort einen neuen Stadtteil zu entwickeln. Mit Bibliothek und regionalem Geschichtsarchiv sollte eine kreative und zukunftsgerichtete Nachnutzung der ehemaligen Lokhalle erfolgen. 

Heute beherbergt die LocHal auf einer Fläche von 11.200 m² eine Vierergruppe von  „Bewohner*innen“ 

  • den Hauptstandort der Bibliotheek Midden-Brabant 
  • die Kunstloc Brabant (Organisation zur Förderung von Kunst und Kultur) 
  • Seats2meet (Unternehmen für Co-Working, Raumvermietung und Veranstaltungsmanagement) 
  • CAST (Plattform für öffentliche und fachliche Begegnungen zu den Themen öffentlicher Raum Architektur, Städtebau und Landschaft) 

In der Eingangshalle gibt es neben einem großen Ausstellungsbereich natürlich auch ein Café / Bistro
Die Stadtverwaltung Tilburg ist die Bauherrin und Eigentümerin des Gebäudes, das zahlreiche Preise gewonnen hat.

Die „Bewohner*innen“ von LocHal organisieren gemeinsame Aktivitäten, Veranstaltungen und Ausstellungen. 
Dabei ist die Nutzungsoffenheit der Halle von Vorteil. Mit den auf Schienen bewegbaren (feuerfesten) Textilvorhängen lassen sich je nach Bedarf Raumzonen abgrenzen und für unterschiedliche Programme immer wieder neue Konfigurationen herstellen. Auch die großen Lesetische in der Eingangshalle lassen sich auf den alten Schienen verschieben, sodass eine Bühne entstehen kann. Auf den breiten Sitztreppen finden viele Zuschauer*innen Platz.

Die Textilvorhänge wurden im Übrigen vom Textil Museum Tilburg gewebt und verweisen auf den anderen wichtigen Industriezweig der Stadt, die Textilindustrie.

Auf den oberen Ebenen der Halle befinden sich Medienregale und Arbeitsplätze sowie Arbeitskabinen, Tagungs- und Kongressflächen, die angemietet werden können.

Außerdem laden neben dem analogen Medienbestand verschiedene über die gesamte Halle verteilte interaktive Labs  und wechselnde Pop-up-Ausstellungen dazu ein, selbst zu forschen, zu recherchieren und Wissen zu erwerben.

Die Bibliothek fungiert auch als Produzentin von eigenem Content, z.B. von Talkshows und Podcasts.

Zur LocHal gibt es einen empfehlenswerten Fachartikel in Deutsche BauZeitschrift (DBZ) 07/08/2020

Forum Groningen

 

Das Forum Groningen habe ich auf die unbedingte Empfehlung von niederländischen Bibliothekskolleg*innen hin am vorletzten Tag meines Aufenthalts besucht und habe es nicht bereut. Ohne diesen Tipp hätte ich es wahrscheinlich verpasst, denn vom Forum Groningen, das erst Ende 2019 eröffnet wurde, hatte ich vorher noch nichts gehört oder gelesen.

Groningen ist die Hauptstadt der Provinz Groningen im Norden der Niederlande und hat 234.977 Einwohner*innen (Stand: 1. Januar 2022, Quelle: Wikipedia), von denen fast 50.000 Student*innen sind. Die Universität Groningen gibt es seit 1614, außerdem befindet sich in Groningen die Fachhochschule Hanzehogeschool.

   

Das Forum Groningen  liegt im Herzen des Stadtzentrums, direkt am Markt, und überrascht und inspiriert mit spektakulärer Architektur und einem Konzept, das unter der höchsten Dachterrasse Groningens mit Rooftop-Cinema folgende Partner*innen zusammenbringt: 

Die Rolltreppen führen zu den verschiedenen Etagen wie zu verschiedenen, übereinanderliegenden „Marktplätzen“ mit jeweils unterschiedlicher Atmosphäre und Themenschwerpunkten.

 

  

 

Dieses Video bietet eine kleine Entdeckungstour durch das Gebäude. 

Nutzer*innen können den vielfältigen Angeboten des Forums in physischer oder auch digitaler Form beiwohnen: auf Platform F  sind Veranstaltungsmitschnitte von Lesungen, Festivals, Film- oder Buchpremieren, Interviews und Talkrunden mit Wissenschaftler*innen oder Journalist*innen abrufbar. Die Bibliothek tritt hierbei als Produzentin von eigenem Content auf. 

Die Bibliotheken des Goethe-Instituts Niederlande 

Auch die Bibliotheken des Goethe-Instituts Niederlande sollen nicht unerwähnt bleiben, stehen doch auch sie in interessanter Wechselwirkung mit ihrem Gastland.
Im Goethe-Institut Amsterdam an der Herengracht treffe ich Barbara Mulzer, die Leiterin der Bibliothek, die auch meine Ansprechpartnerin für die Planung meines Residenzaufenthalts war. 
Um sich zu einem Dritten Ort weiterzuentwickeln, hat die Bibliothek des Goethe-Instituts Amsterdam einen partizipativen Design Thinking Process mit Nutzer*innen durchgeführt. 

 

 

Das Buch des niederländischen Architekten und Creative Guide im Bereich Bibliotheksdesign Aat Vos hat auch die Bibliothek des Goethe-Instituts Amsterdam im Regal zu stehen.

Und was das Thema Kooperationen betrifft, so finde ich die Kooperation des Goethe-Instituts Amsterdam mit der deutschen STIFTUNG – SPUREN – GUNTER DEMNIG  besonders spannend: in einem eigens dafür gebauten Atelier im Garten des Goethe-Instituts Amsterdam werden seit 2021 auch Stolpersteine hergestellt. Das Stolperstein-Atelier ist das einzige seiner Art außerhalb Deutschlands. In den vergangenen Jahren stieg die Nachfrage nach Stolpersteinen in den Niederlanden zunehmend an. Durch die Produktion direkt in Amsterdam können die Wartezeiten für Hinterbliebene, Familienmitglieder, Bewohner*innen, Nachbar*innen und Organisationen, die die Steine angefragt haben, deutlich verkürzt und mehr Steine gelegt werden.

 

 

Weitere interessante Kooperationspartner*innen des Goethe-Instituts Niederlande sind die drei deutsch-niederländischen Kulturgesellschaften Deutsche Bibliothek Den Haag, Genootschap Nederland-Duitsland, Stichting Cultuur & Kommunikation.

Das Goethe-Institut Rotterdam geht mit GOETHE INVESTIGATING
einen anderen Weg, es wird eher zu einer Art experimentellem Labs, einer Plattform zur Zusammenarbeit mit Künstler*innen und Initiativen aus Medien, Tech und der Zivilgesellschaft.

 

Das Goethe-Institut Rotterdam hostet Residenzprogramme und teilt sich das Gebäude mit dem Tschechischen Kulturzentrum.

Zusammenfassung und Fazit

Durch meinen Residenzaufenthalt konnte ich beobachten und erfahren, dass Öffentliche Bibliotheken in den Niederlanden mit einer Vielzahl und einer außerordentlichen Bandbreite von Kooperationspartner*innen zusammenarbeiten, dass Kooperation und Vernetzung sozusagen Teil der DNA der Bibliotheksarbeit ist. Oder um die Bibliotheek Rotterdam zu zitieren: „Dit doen we niet alleen.“ (Wir machen das nicht allein.) Die OBA Amsterdam bezeichnet die kollaborative Entwicklung von Angeboten gemeinsam mit Partner*innen als „Co-Creation“.

Alle Bibliotheken, die ich besucht habe, waren Einrichtungen mit mehreren permanenten „Bewohner*innen“ im selben Gebäude, aber wo man in Deutschland in solchen Fällen vor allem die Kooperation von Bibliothek mit anderen öffentlich getragenen, bildungsorientierten Institutionen wie VHS oder Musikschule vorfindet, gibt es in den Niederlanden erstens IMMER mindestens einen Gastronomiebetrieb im Haus und ansonsten viele Beispiele für Kooperationen mit kommerziellen Anbietern und Privatunternehmen. Public private partnership scheint ein beliebtes und bewährtes Geschäftsmodell zu sein. Bei der Konzeption von Angeboten wird auf die (wirtschaftliche) Win-Win-Situation von Partner*innen geachtet.
Neben der Zusammenarbeit mit den permanenten „Bewohner*innen“ werden regelmäßig viele andere Kooperationspartner*innen zu wechselnden, temporär angelegten Aktionen eingeladen.

Das Selbstverständnis der Öffentlichen Bibliothek als einer Plattform, eines Forums, als agorá (im antiken Griechenland der zentrale Fest-, Versammlungs- und Marktplatz einer Stadt), auf der Begegnung, gemeinsame Aktivität, Lernen, Entdecken, Ausprobieren, (Weiter-)Vermittlung in Beratungen und Programme, zu Angeboten und Anbietern – und auch Konsumieren – stattfindet, spielt dabei eine Rolle. Der überdachte Stadtplatz Bibliothek steht den Bürger*innen dabei an 7 Tagen in der Woche zur Verfügung. 

Einige begünstigende Faktoren helfen dabei, dass Öffentliche Bibliotheken in den Niederlanden so agieren können:
Bis auf sehr wenige Ausnahmen haben Öffentliche Bibliotheken in den Niederlanden die Rechtsform einer Stiftung. Der „ANBI-Status“ bescheinigt ihnen Gemeinnützigkeit, sodass sie Spenden annehmen dürfen und das für die Spender*innen steuerfrei ist. Der Status als Stiftung bringt nicht nur eine andere Kontrolle über Finanzen mit sich als das beim Wirtschaften unter den Rahmenbedingungen des Öffentlichen Diensts möglich ist, er ermöglicht auch ein anderes Auftreten als Vertragspartner bei Kooperationen, erlaubt andere Spielräume in der Personalpolitik und fördert eine andere Haltung und Unternehmenskultur. Direktor*innen und Geschäftsführer*innen bringen oft berufliche Vorerfahrungen aus Bereichen wie Unternehmensführung, Kulturmanagement, der Wissenschaft oder der Politik mit. Werte wie Entrepreneursgeist, Experimentier- (und auch mal Risiko-)freude, Eigeninitiative, Kreativität, Innovation und pragmatische Lösungsorientiertheit im Interesse der Kund*innen des „Unternehmens“ stehen hoch im Kurs.

In der Regel ist die Stadtverwaltung Bauherrin und Eigentümerin der Gebäude und überträgt die Nutzungsrechte an die Bibliothek. Bibliotheken werden mit einem Grundbetrag von der Kommune gefördert und müssen einen Teil ihrer Einnahmen selbst erwirtschaften. Das erklärt die zum Teil überraschend hohen Preise für Mitgliedsgebühren (Kinder und Jugendliche zahlen aber nichts) oder Bereitstellungs- und Transportkosten für Medien aus anderen Bibliotheken. Die Bibliothek kann Räume an kommerzielle Kooperationspartner*innen wie z.B. Gastronomiebetriebe oder Privatunternehmen vermieten oder Räume für Tagungen, Kongresse und Events gegen Buchungsentgelt zur Verfügung stellen und so Einnahmen generieren und neue Nutzer*innengruppen ins Gebäude bringen. Viele Angebote und Programme werden mit Unterstützung von Freiwilligen/Ehrenamtlichen durchgeführt. Über Kontaktformulare auf der Webseite und Infostellen in der Bibliothek werden Freiwillige/Ehrenamtliche aktiv angeworben. Auch interessierte neue Partner*innen werden aufgefordert, sich mit ihrem Kooperations-Wunsch direkt an die Bibliothek zu wenden.

Die Anziehungskraft und Leistungsfähigkeit der Bibliotheken wird unterstützt durch professionelle Öffentlichkeitsarbeits- und Marketingkonzepte. Die niederländischen Öffentlichen Bibliotheken nutzen ein landesweit einheitliches wiedererkennbares Logo. Durch dieses gemeinsame Auftreten nach außen sind Bibliotheken und ihre Standorte fest in der Wahrnehmung der Bürger*innen als leicht zugängliche, sichere und jederzeit aufsuchbare Orte etabliert. Alle Bibliotheken, die ich besichtigt habe, waren zudem im Stadtbild durch Wegweiser und Infotafeln sehr gut ausgeschildert und problemlos zu finden. Bei der Kommunikation von Angeboten kommen neben der klassischen Print-Werbung auch viele (YouTube-)Videos zum Einsatz und der Kund*innen-Service ist auch über WhatsApp erreichbar.
Die ikonischen Bibliotheksbauten in Top-Lage, von namhaften Architekt*innen errichtet/umgebaut und mit hochwertigem und kreativem Design in der Inneneinrichtung, tragen ebenfalls zu wirksamem Marketing bei. Viele Bibliotheken bieten Führungen (in physischer, digitaler oder Print-Form) durch ihre Gebäude an. Die spektakuläre Architektur und Inneneinrichtung sorgt nicht nur für einen Besucher*innenzustrom und die Stärkung der Bibliothek in ihrer Funktion als hoch attraktiver »Dritter Ort«, sondern zieht auch interessante und interessierte Kooperationspartner*innen an, die sich eine Win-Win-Situation erhoffen. 

Ein weiterer begünstigender Faktor sind die zentralisierten nationalen Infrastrukturen unter Koordination der Koninklijke Bibliotheek (KB), die gemeinsamen bibliothekspädagogischen Rahmenpläne und die zentrale Koordination der nationalen Programmen zur frühkindlichen und schulischen Bildung, zum Schulbibliothekswesen, zur Sprach- und Leseförderung und zum Digitalen Lernen. So können in diesen Bereichen vergleichbare Angebote verbindlich in allen Öffentlichen Bibliotheken des Landes bereitgestellt werden. Durch diese Programme kommen viele unterschiedliche Menschen mit Bibliothek in Berührung und erleben diese Einrichtung als vertrauenswürdig, integrierend, verbindend und sinnstiftend. Bei der Durchführung der nationalen Programme wirken viele Freiwillige/Ehrenamtliche mit, die sich gern für ihre Bibliothek und Kommune engagieren und die dafür wertgeschätzt, sorgfältig geschult und in ihre Aufgaben eingearbeitet werden. In den Niederlanden, wo es keine spezifische Bibliotheksausbildung, keine spezifisch bibliothekarischen Studiengänge und dafür viele „Quereinsteiger*innen“ gibt, fällt es bezahlten Bibliotheksmitarbeiter*innen vielleicht leichter, die freiwilligen Mitarbeiter*innen als Teil des Teams anzuerkennen.

Zu einem vernetzenden Knotenpunkt und einer Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft wird die Bibliothek, wenn sie die Menschen in der Kommune mit der lokalen Geschichte des Ortes verbindet und kulturelles Erbe sichtbar, erfahrbar und für Alle nutzbar macht. Das geschieht zum Beispiel durch die kreative Nachnutzung von alten (Industrie-)gebäuden und den Verweis auf ihre frühere Bedeutung für die Stadtgeschichte, durch interaktive Ausstellungen oder durch Kooperationen, z.B. mit Universitätsbibliotheken und ihren Sondersammlungen, regionalen Archiven zur Lokalgeschichte oder Citizen-Science-Projekten. Durch die gemeinsamen Schnittmengen wird auch die scharfe Trennung zwischen wissenschaftlichen und Öffentlichen Bibliotheken aufgeweicht.

Als Brücke in die Zukunft der Kommune fungiert die Bibliothek, indem sie z.B. Talentförderung betreibt und Sprachlerntreffpunkt für Niederländisch für Neu-Zugezogene ist.

Bei all den positiven Aspekten und Auswirkungen könnte es aber auch eine Nutzer*innen-Gruppe geben, die vielleicht weniger von der starken Vernetzung profitiert und das sind, so meine Vermutung, Menschen mit geringerem Einkommen. Die niederländischen Öffentlichen Bibliotheken sind keine konsumfreien »Dritten Orte«. Dem Kind die Teilnahme am Musical-Kurs zu finanzieren, im Bistro zu essen oder im Rooftop-Cinema einen Film anzuschauen, können sich nicht unbedingt Alle leisten. Es wäre interessant zu erfahren, ob Menschen mit geringerem Einkommen die Öffentliche Bibliothek anders wahrnehmen und genießen als finanzkräftige Menschen, die die Gastronomie-, Bildungs- und Unterhaltungsangebote dieses »Dritten Orts« problemlos regelmäßig in Anspruch nehmen können.

Ausblick

Die Teilnahme am Programm Librarian in Residence hat mir die großartige Möglichkeit eröffnet, einen intensiven Einblick in das Bibliothekswesen unseres europäischen Nachbarlands zu gewinnen, viele tolle Bibliotheken zu besichtigen und Kontakte mit niederländischen Kolleg*innen zu knüpfen.
Ich kann nur allen Interessierten empfehlen, sich auch einmal bei BII International und dem Goethe-Institut um eine Förderung zu bewerben.

Vielleicht als Librarian in Residence im neuen Partnerland Tschechische Republik?

Oder falls es doch die Niederlande sein sollen, vielleicht als Teilnehmer*in des 88. IFLA World Library and Information Congress im August 2023 in Rotterdam?

Neugierde und Mut wünsche ich euch, es lohnt sich!

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