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Studienreise Niederlande 25.-28.10.2022 | Tag 3

Lesesaal mit Treppe und Bücherregalen an den Wänden

Ich hatte vom 25. bis 28. Oktober 2022 die Möglichkeit, an einer Studienreise in die Niederlande teilzunehmen, um dort besondere, zukunftsweisende Bibliotheken zu besuchen.
Hier geht’s zu Teil 1 und Teil 3 des Reiseberichts.

Von Rotterdam nach Amsterdam

Bibliothek der Erasmus Universität, Rotterdam

Tag 3 startete früh auf dem ausgestorbenen Campus der Erasmus Universität Rotterdam. Während die Studierenden noch schliefen, hatten wir einen Großteil der Bibliothek für uns. Da die meisten in unserer Reisegruppe für öffentliche Bibliotheken arbeiten, waren wir gespannt auf die einzige wissenschaftliche Bibliothek auf unserem Reiseplan, aber auch etwas skeptisch, inwiefern sich dortige Konzepte und Gestaltungsideen auf unsere Institutionen übertragen lassen. Diese Bedenken waren völlig unbegründet, wie sich schnell zeigte, gerade der etwas andere Blickwinkel und die unterschiedlichen Anforderungen an einen Bibliotheksstandort stellten sich als echte Bereicherung heraus. Ganz nach dem Motto „ich wusste nicht, dass ich es wollte, bis ich es gesehen habe.“

Interessant war z.B., zu hören, dass die coronabedingten Einschränkungen auch Vorteile für die Bibliothek mit sich gebracht haben. Mit dem eingeführten Buchungssystem für Arbeitsplätze kann reguliert werden, wie viele Personen sich im Gebäude aufhalten und Studierende müssen nicht mehr lange nach einem freien Arbeitsplatz suchen, sondern können direkt zum reservierten Platz gehen.

Obwohl es an vielen Stellen in der Universitätsbibliothek vor allem auf Effizienz ankommt – Ziel ist es, möglichst gute Arbeitsbedingungen für möglichst viele Studierende zu schaffen – ist es ihnen gelungen, auch einen Ort zu schaffen, an dem man sich direkt wohl und willkommen fühlt. Die Massagesessel tragen dazu sicher ihren Teil bei.

Nicht unerwähnt dürfen wir auch die Recylingstationen nicht lassen, die im Sinne der Nachhaltigkeit an vielen Orten platziert sind, und bei uns große Begeisterung ausgelöst haben.  

„Neben meiner Arbeit als Erwerbungsbibliothekarin an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel arbeite ich außerdem an meiner Masterarbeit zu gesundheitsfördernder Möblierung in Bibliotheken. Um einen internationalen Blick in meine Arbeit einzubringen, hatte ich mich für die Studienreise durch die Niederlande beworben. Allein durch den Besuch der Zentralbibliothek der Erasmus Universität Rotterdam konnte ich etliche hervorragende Praxisbeispiele sammeln. So werden zum Beispiel die Studenten an der Gestaltung ihrer Bibliothek aktiv beteiligt, indem sie selbst auswählen dürfen, auf welchen Stühlen sie zukünftig den Großteil ihrer Zeit verbringen. Weitere Angebote wie eine Health Week zur Steigerung des Bewusstseins für die Notwendigkeit von Fitness und Entspannung runden den gesundheitsorientierten Blick dieser Bibliothek ab. Ein Besuch, der sich definitiv gelohnt hat und den ich jederzeit durch weitere Reisen ergänzen würde.“

– Babette Möbius (Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel )

„Schon etliche Jahre bin ich großer Fan der Niederlande (Sprache, Land, Kultur, Essen…) und beschäftige mich außerdem gerne mit moderner Bibliotheksarchitektur. Dadurch habe ich schon vor Jahren erkannt, dass uns die Niederländer weit voraus sind, was die partizipative Entwicklung zeitgemäßer Bibliotheken für ihre communities betrifft. Ich suche Inspirationen für uns selbst, im weitesten Sinn, also was Angebote, Möbel, Medien und Bauliches betrifft. Ich möchte erleben, wie man öffentliche Bibliotheken zeitgemäß als Dritte Orte gestalten kann, um mir zumindest ein bisschen davon für die eigene Arbeit abzukucken…

Den extra Abfalleimer für Pizzakartons in der Universitätsbibliothek Rotterdam fand ich super, weil man damit signalisiert, dass es okay ist, in der Bibliothek zu essen und weil man darauf vertraut, dass die Medien davon keinen Schaden nehmen. Das könnten sie schließlich auch zuhause, wo die Bibliothek keine Kontrolle ausüben kann. Man vertraut auf Rücksichtnahme von Mensch zu Mensch, Mensch zu Medien. Die Bibliothek wird so in der Tat zum öffentlichen, geteilten Wohnzimmer.

Immer wieder haben wir während unserer Reise gesehen, wie gut verschiedene Einrichtungen unter einem Dach harmonieren und sich gegenseitig bereichern und inspirieren können. Medien werden dann zwar nur noch „unter anderem“ angeboten, aber summa summarum bieten diese Orte viel mehr als ihre einzelnen, separaten Angebote. Man begegnet etwas, womit man sich sonst vermutlich nicht beschäftigt hätte: Vielleicht findet man ein neues Hobby, vielleicht lernt man bei einem Kaffee einen kreativen Menschen kennen, vielleicht vertieft man sich in die Geschichte seiner Stadt. Auf jeden Fall nimmt man mehr mit als ein paar Medien!“
– Marion Überschaer (Stadtbibliothek Göttingen)

OPEN, Delft

Eine Bibliothek in einem alten Supermarkt, das klingt im ersten Moment alles andere als anheimelnd. Tatsächlich hat man aber beim Betreten des „OPEN“ eher das Gefühl in der bunt zusammengewürfelten Wohnung einer Großfamilie gelandet zu sein. Hier kann man nicht nur Medien ausleihen, es gibt auch Kunstateliers, Goldschmiedewerkstatt und Musikprobenräume des De VAK Kunst- und Musikzentrum, mit dem sich die Bibliothek die Räumlichkeiten teilt. Durch das offene Konzept mit großen Glasflächen hat alles einen eigenen Bereich, wirkt aber trotzdem miteinander verbunden. Die Kombination aus alten Holzmöbeln, Pflanzen und Plüschsesseln unterstreicht diesen kreativen Mix noch und erinnert im besten Sinne an die Villa Kunterbunt, die zwar nicht immer perfekt aufgeräumt ist, dafür aber allen offensteht, die ihrer Kreativität freien Lauf lassen wollen.

Mitmachen wird hier in allen Bereichen großgeschrieben, nicht nur bei den verschiedenen Kursangeboten. Besonders interessant für die Kinder- und Jugendbibliothekar*innen unserer Gruppe: Die Themengebiete, nach denen die Kinder- und Jugendbücher sortiert werden, wurden auch gemeinsam mit den Kindern entwickelt.

„Die Studienreise in die Niederlande war für mich eine großartige Gelegenheit, die vielseitige, innovative und auch unkonventionelle Bibliotheksarbeit der Niederlande kennen zu lernen und Inspirationen für meine Arbeit in der Schulbibliothakarischen Arbeitsstelle | sba der Stadtbücherei Frankfurt am Main mitzunehmen. 
Der 3. Tag der Reise war mit dem Besuch der Erasmus Universitätsbibliothek in Rotterdam, dem DOK Delft im Open und der Zentralbibliothek der öffentlichen Bibliothek in Amsterdam (oba) besonders vielseitig. Zwar gab es hier keinen großen Wow-Effekt wie bei den außergewöhnlichen Bibliotheken DePetrus oder LokHal, doch konnte ich hier viel für meine Arbeit lernen. 
Die oba lässt sich von den neun besuchten Bibliotheken als dezentrale Großstadtbibliothek am besten mit der Stadtbücherei vergleichen – in einem viel größeren Maßstab.
Besonders beeindruckt hat mich aber das DOK Delft mit seinem Umgang mit der Systematik und Bestandsaufstellung. Die Kinder, d.h. die tatsächliche Zielgruppe, wurde an der Entwicklung der Systematik für die Kinder- und Jugendmedien direkt beteiligt. Das finde ich großartig! Auf diese Weise spiegelt die Aufstellung der Medien das wider, was für die Kinder bei der Suche nach Themen usw. logisch ist. Die Möglichkeit, Kinder und Jugendliche mit ihren Wünschen und Bedürfnissen in Bereichen zu beteiligen, die wir i.d.R. den Erwachsenen und Fachleuten vorbehalten, nehme ich mit in meine Arbeit für die Frankfurter Schulbibliotheken. Insgesamt hat die Reise mir gezeigt, dass man ungewöhnliche Wege gehen und einfach mal Neues ausprobieren kann.“

– Kristina Kirche (SBA, Stadtbücherei Frankfurt)

oba, Amsterdam

Zugegeben, langsam rauchten unsere Köpfe und wir hatten kollektiv das Gefühl, nicht mehr viele neue Eindrücke aufnehmen zu können. Nicht die ideale Voraussetzung, wenn man auf dem Weg in die oba ist, die Openbare Bibliotheek Amsterdamt, die so weitläufig ist, dass man sich gar nicht erst mit einem gewöhnlichen Treppenhaus abgemüht, sondern gleich Rolltreppen eingebaut hat, um selbst mit Medien beladen die obersten Stockwerke ohne Sauerstoffmangel erreichen zu können.

Das Gebäude beeindruckt zum einen durch die schiere Größe. Es ist das Flaggschiff der Bibliothek, die über 20 weitere Zweigstellen in der Stadt hat, verfügt über ein Theater, Konferenzsäle und eine Dachterrasse. Zum anderen sticht das Design ins Auge. Eine Lampe ist nicht nur eine Lampe, sie ist auch so konzipiert, dass sie Schall bricht und damit die Lautstärke in den Räumen reguliert. Trotz der vielfach sehr modernen Einrichtung, ist auch Platz für Tradition und Geschichte der Bibliothek geblieben. So wurden alte Holztische aufgearbeitet und wiederverwendet, nur sind da, wo früher Halterungen für Tintenfässer waren, heute Steckdosen. Wie langfristig und raumgreifend Bibliothek hier gedacht wird, konnten wir auch am „Huis van alle talen“ sehen, einem Projekt, dessen Ziel es ist, Bücher sämtlicher Sprachen an einem Ort zu versammeln.

Bevor uns beim Anblick der Rückgabe-Sortiermaschine, die die Medien automatisch ins richtige Stockwerk transportiert, doch noch der Technikneid packen konnte, haben wir zum krönenden Abschluss des Tages lieber den fantastischen Blick von der Dachterrasse genossen. Leider ein Feature, dass man nicht einfach in der eigenen Bibliothek duplizieren kann.

„Am dritten Tag der Reise stehen die Universiteitsbibliotheek der Erasmus Universiteit in Rotterdam, DOK in Delft und OBA in Amsterdam auf dem Programm.
Eine ziemlich bunte Mischung und ich verspreche mir von diesem Tag viele Eindrücke und zurückzulegende Schritte – was sich auch beides bewahrheiten wird.
Die Universitätsbibliothek ist so ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte, nämlich gar nicht dunkel, eng, deprimierend und vollgestopft, sondern (nach dem Umbau 2015) hell, freundlich, offen, modern und einladend. Natürlich ist es aber trotzdem still, auch in den großen Arbeitssälen herrscht eine angenehme ruhige Atmosphäre.
Das DOK in Delft ist der komplette Gegenentwurf: offen, bunt, laut, wuselig und mit viel Platz für Kreativität. Überall sitzen Menschen und unterhalten sich, Eltern spielen mit ihren Kindern, es findet ein Theaterstück statt, im VR-Cube der TU erlebt ein Kind Abenteuer mit der VR-Brille… OPEN steht draußen dran und genau das erlebt man innen.
Die OBA hat mich um, hier wird groß gedacht: 10 Stockwerke, 28.500qm, 1,3 Millionen Medieneinheiten, in den Kellern verliere ich komplett die Orientierung, die Aussicht von der Dachterrasse ist atemberaubend… absolute Reizüberflutung.
Am Ende dieses Tages bin ich überrascht, was alles in Bibliotheken möglich ist und wünsche mir, dass wir uns in Deutschland vielleicht auch einmal ein bisschen was trauen.“

– Uta Krüger (Stadtbibliothek Viersen)

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